91. Was ein böß Gewissen thun kan / wann es auffgewacht.

[636] Dieterich der Gothen König / ließ zween fürnehme Römische Bürgermeister / nemlich Symmachum und dessen Tochter-Mann Boëthium, (von deme er zuvor bey seinem Einzug in die Stadt Rom mit einer zierlichen Glückwünschungs-Rede empfangen ward) aus lauterm Neid und ungegründeten falschen Argwohne jämmerlich hinrichten. Nicht gar lange aber darnach begab sichs / daß dem Könige / da er Abend-Mahlzeit hielte / neben andern Speisen ein grosser gekochter Fisch-Kopff fürgesetzt ward: Da dauchte dem König nicht anders / als sehe er das Haupt des Symmathi, den er hatte erwürgen lassen / vor sich in der Schüssel liegen / mit starrenden grimigen Augen ihme Rache dräuende: Worüber er dann so sehr erschrack / daß er mit seinem gantzen Leibe zitterte und bebete / und so bald von der Tafel auffstehen und sich zu Bette legen muste: Darnach fieng er an grausam zu schreyen und zu klagen / über seinen begangenen Mord / und rieff stets und ohne Auffhören / man solte dem Symmacho und Boëthio wehren / daß sie ihn nicht erwürgeten: Ist auch in dem jämmerlichem Zeter-Geschrey und Weheklagen so lange fortgefahren / biß er seinen Geist darüber auffgegeben hat.


Böß Gewissen ist ein nagender / und sehr schändlicher Wurm / darum man sich desto mehr zu hüten hat / daß man sein Gewissen mit muthwilligen Lastern nicht beflecke.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 636-637.
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