93. Vom Niesen.

[639] Zu dem Niesen pflegen wir gemeiniglich zu sagen /GOtt helff! Da wir doch weder einem gähnenden noch gröltzenden Glück wünschen. Aristoteles lehret uns dessen Ursach: Dann / spricht er / es sind drey Theile des menschlichen Leibes / nemlich / der Kopff / die Brust und der Bauch: Weil denn das Haupt der fürnehmste Theil des Menschen ist / und den übrigen Gliedern gleichsam als ein Herr gebietet / weil auch im Kopffe als in einem herrlichen Schlosse alle göttliche und menschliche Wissenschafft ihren Sitz hat /und aber das Niesen aus dem Kopff herkommt /darum halten wir diß Blasen billich viel höher / als dasjenige welches aus dem Magen oder untersten Bauch auffsteiget / und heissen es gleichsam mit einem freundlichen Wunsche willkommen: Weil auch die Alten gute Achtung auff das Niesen gegeben / und gewisse Merckzeichen daraus genommen haben /darum haben sie den Niesenden Glück gewünschet /auff daß alles Unglück dadurch möchte abgewendet[639] werden / wie wir dann lesen / daß Käyser Tiberius dieser Ursachen halben solche Glückwünschung ernstlich befohlen hat.

Gleichwie nun das Niesen eine Anzeigung ist eines gesunden Gehirns / wie Galenus urtheilet / also haben die Alten ihnen dadurch gut Glück zugesagt / doch nicht allezeit / dann die nachmittägliche Niesung ist zwar für eine gute Bedeutung gehalten worden / wann aber iemand vor Mittage genieset hat / ist solches vor eine böse Anzeige gehalten worden / und hat sich derselbe besorget / das ihm desselben Tages all sein Vornehmen mißlingen werde. Daher auch diejenige / welche des Morgens wann sie schon vom Bette auffgestanden / und die Schuh angethan hatten / genieset haben / sich haben pflegen wieder niederzulegen / und also das übrige Theil des Tages durch ihren Schlaff /als eine neue Nacht / von dem vorigen Theil des Tages / in welchem sie genieset hatten / abzuschneiden. Sonst ist auch dafür gehalten worden / wann einer entweder selbst / oder auch ein Anwesender /bevorab an der rechten Hand stehend / genieset hat /zu der Zeit / da man den Göttern geopffert / oder sonst dergleichen wichtige Geschäffte verhandelt hat /daß alsdann die Niesung ihre Wirckung gewißlich bekomme / bald zum Guten / bald zum Bösen. Also wird von Xenophonte erzehlet / daß er unter seiner Rede / welche er zum Griechischen Kriegsheer thate /genieset / und von dem Volck zum Feld-Obristen erwehlet sey. Als Hippias, in dem er niesete / einen Zahn verlohr / folgete darauff ein grosses Unglück. Hieher gehöret / was Plutarchus schreibet / daß /wann einer dem Socrati zur rechten Hand / oder gegen ihm überstehende genieset habe / er alsdann mit[640] freudigem und hurtigem Gemüth die Arbeit angetreten habe / in Hoffnung / es würde alsdann alles glücklich und wol gelingen; Wann aber das Niesen von der lincken Seiten herkommen sey / habe er solches für ein böß Zeichen gehalten / auch desselben Tages nichts anfangen wollen.


Diß ist aus der alten Heidn'schen und Abergläubischen Welt / das Niesen hat seine natürliche Ursachen / und keine Krafft zukünfftige Dinge zu verkündigen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 639-641.
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