99. Liebe zu leblosen Dingen.

[646] Ælianus im 9. Buch seiner vielfältigen Geschichte erzehlet nachfolgende Historiam. Zu Athen war ein Jüngling / dessen Name wegen seiner lächerlichen Thorheit nicht werth ist / daß er genennet werde: Derselbe verliebte sich in ein mit Händen gemachtes Bild / welches des Glücks Gestalt hatte / so hefftig / daß er ihm nicht allein täglich einen Gang schenckte / sondern auch hinzugieng / es umfieng und küssete / als wäre es eine wolgestalte lebendige Jungfrau. Es ist leicht zu gedencken / was für Lust und Ergetzlichkeit die Anredung und Umfahung des stummen Klotzes gegeben habe: Dennoch war die Liebe gegen dasselbe bey dem Jünglinge so hitzig / daß er wegen unvölliger Geniessung dieser seiner erwehlten Liebsten täglich sehr abnahm: Konte auch die Liebes-Flammen nicht länger bergen / sondern gieng in den versammleten Rath / und bath / daß sie ihm um gebührliche Entgeltniß das schöne Glücks-Bild möchten zukommen lassen. Der Rath aber schlug ihm diß Begehren ab / aus Ursachen / weil es unziemlich seyn würde / ein so wolgestaltes Bild / mitten aus der Stadt hinweg zu nehmen / und die Stelle zu blössen.

Der armselige Liebhaber / wie er mit solchem unverhofften und unangenehmen Bescheid abgewiesen ward / stellete sich vor das Bild / beklagte mit erbärmlichen Worten und Geberden seine unglückselige Liebe / daß er eines so schönen Bildes nicht habe theilhafftig werden können: Bezeugete mit theuren Worten / daß er ihm auch im Tode getreu und von Hertzen geneigt verbleiben wolle: Stieß ihm hiermit selbst unter[647] denen daher fliessenden Thränen das Schwerd in den Leib / und fiel todt vor dem Bilde zur Erden.


Wer sich in Liebe zu wolgestalten Menschen nicht mäßigen kan / der ist kein Kluger zu nennen. Wer zweiffelt dann / daß es ein vollkommener Narr sey / welcher an Gold / Silber und dergleichen ungeseelten Dingen sein Hertz hänget / welche durch dieses Bildniß können verstanden werden.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 646-648.
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