1. Der Himmlische Daphnis Christus nimmt die büssende Seel Clorinda wiederum zu Gnaden an/ und bezeugt/ wie hoch Er die bereute/ obschon gröste/Sünder liebe

Nolo mortem impii, sed ut convertatur, & vivat.

Ezech. 33. v. 11.


Ich will nicht den Tod des Sünders/ sondern daß er sich bekehre/ und lebe.


1.

Wie können jemal rechtgläubige Sünder

Zur Hoffnung sincken lassen ihren Muht/

Da ich des ewigen Lebens Erfinder

Sie doch erlöset hab' mit meinem Blut?

Hab' ich sie dann jemahl auff dieser Welt

Mit rauhen Worten hundisch angebellt?


2.

Ich hab' ja ihnen vor allen erwiesen

Ein' mehr/ als vätterliche Freundlichkeit/

Sie gar zu Kinder/ und Erben erkisen/

Als die mir angenehm insonderheit;

Warumb verzagest du/ ô Sünder/ dann/

Als wär' ich grausamer/ als ein Tyrann?
[103]

3.

Bin ich die Göttliche Güte nicht selber?

Ist meine Wesenheit dann nicht die Lieb?

Bin ich vor Grimmen dann bleicher und gelber

Als Schinis der verruchte Lebens-Dieb?

Ach nein/ ach nein/ ich bin derselbig nicht/

Der seinen Feinden gleich den Halß zerbricht.


4.

Ist auch ein eintziger Sünder zu finden/

Dem zu verzeihen ich mich je beschwert?

Hab ich jemalen gelassen dahinden

Ein Schäflein/ welches meiner Hülff begehrt?

Was für ein Schäffer ist/ der zornig werd'/

Wann sein verlohrnes Schäflein kehrt zur Herd?


5.

Hab' ich so hefftig/ und blutig gestritten

Nur zu erlösen die gerechte Schaar?

Und nicht vielmehro den Tode gelitten/

Die Sünder zu erretten der Gefahr?1

Die grosse Lieb zu dir/ ô Sünder/ hat

Allein getrieben mich zu solcher That.


6.

Weist du nicht/ daß mich die Juden gescholten/

Daß ich der Sünder mich genommen an?2

Hab' ich nicht immer mit Gutem vergolten

Das Böse/ so man mir hat angethan?

War' auch ein Mutter je/ wie ich/ so mild?

Wer kan mich halten dann für rauch und wild?
[104]

7.

Als ich von Judas dort würcklich verrahten

Gelieffert ware schon an meine Feind'/3

Hab (ungeachtet der grausamen Thaten)

Ich dannoch ihn genennet einen Freund/

Und hätt' der arme Tropff verzweifflet nicht/

Ihm geben hätt kein saures Angesicht.


8.

Gleichwie der Schatten urplitzlich muß weichen/

So bald die helle Morgenröht erwacht/

Und wie die liebliche Zephyr-Wind streichen

So bald der Winter sich von hinnen macht/

Auch also eilends wird mein Zorn zerstreut/

So bald der Sünder nur die Sünd bereut.


9.

Wer aus Letæischem4 Wasserfluß trincket/

Vergangner Sachen alsobald vergißt/

Dann die Gedächtnuß ihm gäntzlich versincket/

Und also alles/ was er je gewüßt:

So macht/ ô Sünder/ auch dein Thränen-Bach

Vergessen mich gleich aller Sünd/ und Rach.


10.

Ein Feur/ wie sehr es auch tobet/ und brennet/

Von vielem Wasser endlich wird gedemmt/

Wer meine Flammen mit Thränen berennet/

In kurtzer Zeit dieselbe stillt/ und hemmt:

Ein einigs Tröpfflein durch gepreßter Reu

Stillt mir den Zorn und macht die Liebe neu.
[105]

11.

So gar die Löwen in völligem Wühten

Sind einer noch so wohl gesinnten Art/

Daß sie mit Thränen sich lassen begüten/

Verfahren nie mit nassen Augen hart:5

Und solt ich/ als ein Löw/ dann wilder seyn/

Von Thränen abgemahnet/ schlagen drein?


12.

Ein' treue Mutter ihr Kindlein nicht hasset/

Ob es ihr schon gebracht sehr grosse Qual/

An statt des Zörnens es lieblich umbfasset/

Gedenckt vor Lieb der schmertzen nicht einmal/

Hat mehr Mitleyden mit dem armen Kind/

Als daß sie solches unbarmhertzig schind'.


13.

Laß den so schmertzlich gewonnenen Erben

Der zugefügten Qual entgelten nicht/

Will ihr die Freude nicht selber verderben/6

So ihr von einem lieben Kind geschicht:

Siht/ wie ein Hertz-verwundter Pelican

Die Kinder-Lieb/ und nicht die Schmertzen an.


14.

Hat auch ein' Mutter jemahlen gebohren

Die Kinder schmertzlicher/ als eben Ich?

Indem ich nemlich darüber verlohren

Mein theures Blut/ und Leben williglich?

Und sollt ich jetzund aller wild/ und thumm

So theur-erworbne Kinder bringen umm?
[106]

15.

Der seiner Erbschafft heillose Verschwender

Mit keinem rauhen wörtlein wurd versehrt7

Als er bereuet verlassen die Länder/

Und zu dem Vatter wiederumb gekehrt/

Mit einem süssen Kuß wurd' er gebüßt/

Vor lauter Freud der Vatter wäinen müßt.


16.

Ich bin ja dieser mitleydende Vatter/

Der den Bereuten solche Lieb erzeigt/

Laß' ihnen offen den Zuversichts-Gatter/

Zur Sünd-Vergebung überaus geneigt/

Wer seufzend nur: Ich hab gesündigt spricht/

Hat sich vor meinem Zorn zu förchten nicht.


17.

Wann schwartz der zornige Himmel bewettert

Mit grossem Krachen seine Plitze wetzt/

Er nur die harte Vorwürffe zerschmettert/

Was weich/ und lind ist/ bleibet unverletzt.

Der Degen in der Scheiden wird verzehrt/

Die Scheid hingegen bleibet unversehrt.


18.

Auch also werden die Sünder nicht fühlen

Meines geflammten Zornes Wetterstreich/

Die meine Plitze mit Thränen abkühlen/

Und haben eine Seel von Reu gantz weich:

Was soll das Schwerdt in des erzörnten Hand/

Wo weder Feinde mehr/ noch Widerstand?
[107]

19.

Bespiegelt euch nur an meiner Clorinden/

Die mich beläidigt mehr als jemand hat

Doch nach begangnen unzahlbaren Sünden

Bereuet endlich ihre Missethat:

Darumb sie lieber mir/ als alle die/

So mich auff solche Weiß beläidigt nie.


20.

Dann ob sie schon mich zum höchsten betrübet/

Mit ihrer lasterhafften Uppigkeit/

Anjetzo dannoch so inniglich liebet/

Daß sie zu sterben auch für mich bereit;

Hätt' sie beläidigt mich niemal so schwär/

Zu solcher Lieb sie niemal kommen wär'.


Fußnoten

1 Nm veni vocare justos, sed peccatores, Matth. v. 13.


2 Matth. 11. v. 19. Deren Publicanen und Sündern Freund.


3 Matth. 26. v. 50.


4 Ein Fluß/ wer daraus trinckt/ vergisset alles.


5 Plin. lib. 8. c. 16. Prostratis parcit Leo. ibid.


6 Ioan. 16. v. 21.


7 Verlohrne Sohn. Luc. 15.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 99-100,103-108.
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