Herbstentschluß

[53] Trübe Wolken, Herbstesluft,

Einsam wandl ich meine Straßen,

Welkes Laub, kein Vogel ruft –

Ach, wie stille! wie verlassen!


Todeskühl der Winter naht;

Wo sind, Wälder, eure Wonnen?

Fluren, eurer vollen Saat

Goldne Wellen sind verronnen!


Es ist worden kühl und spät,

Nebel auf der Wiese weidet,

Durch die öden Haine weht

Heimweh; – alles flieht und scheidet.


Herz, vernimmst du diesen Klang

von den felsentstürzten Bächen?[53]

Zeit gewesen wär es lang,

Daß wir ernsthaft uns besprächen!


Herz, du hast dir selber oft

Wehgetan und hast es andern,

Weil du hast geliebt, gehofft;

Nun ists aus, wir müssen wandern!


Auf die Reise will ich fest

Ein dich schließen und verwahren,

Draußen mag ein linder West

Oder Sturm vorüberfahren;


Daß wir unsern letzten Gang

Schweigsam wandeln und alleine,

Daß auf unsern Grabeshang

Niemand als der Regen weine!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 53-54.
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