Die Zweifler

[55] Zwei Freunde traten schweigend ein

In einen blütenvollen Hain.

Die Sonne ließ den Strahl im Neigen

Erzittern auf den Erlenzweigen,

Und Leben, Lieben überall

Schien schwellend sich hervorzudrängen.

Aus Büschen ruft die Nachtigall

Hervor in schmerzlich süßen Klängen,

Als ob die Sängerin aus Eden

Den Tod sanft möchte überreden

Mit ihrem Liede zaubervoll,

Daß er den Lenz nicht rauben soll.

Die Freunde schwiegen, nur der Bach

In das Geflöte murmelnd sprach;

Viel Blumen standen bunt herum

Und wiegten ihre Häupter stumm,

In das geschwätzig muntre Rauschen

Des Baches froh hinabzulauschen,

Wie Kinder lauschen, frohgespannt,

Dem Wandrer, der von fernem Land,

Von schönen Wundern viel erzählt

Auf seiner Irrfahrt durch die Welt. –

O Nachtigall! du rufst vergebens

Um Dauer dieses Wonnelebens!

Bald glüht dein letztes Abendrot,

In seinem Durste wird der Tod

Hinweg dein süßes Lied auch trinken,

Du wirst vom stillen Aste sinken!

Ihr lieben Blümlein! trauet nicht

Dem Märchen, das der Wandrer spricht;

Seht, seht, schon schwillt er brausend an,[55]

Im Walde schon die Stürme nahn;

Der Donner kommt, und voller schwillt

Der Bach, der immer lauter brüllt;

Er faßt euch an, er reißt euch los

Aus eurer Mutter grünem Schoß!

Wie dort die Rosenstaude bebt,

Nun sich zu ihr der Wilde hebt!

Sie schwankt in ihrem Blütenkleid,

Da sie der Strom frohlockend wiegt:

So wiegt der Bursche seine Maid,

Bevor mit ihr zum Tanz er fliegt. –


Der eine von den Freunden sann

Hinunter in den Wogendrang,

Und seine Stimme nun begann

Zu tönen, ernst, wie Grabgesang:

Vergänglichkeit! wie rauschen deine Wellen

Dahin durchs Lebenslabyrinth so laut!

In deine Wirbel flüchten alle Quellen,

Kein Damm, kein Schutz sich dir entgegenbaut!

Es wächst dein Strom mit jeglicher Minute,

Stets lauter klagt der dumpfe Wellenschlag;

Doch wie die Flut auch unaufhaltsam flute,

Ist mancher doch, der sie nicht hören mag.

Wenn auch die Wellen ihre Ufer fressen

Und du zum Meer hinwucherst, unermessen,

Doch stehn an deinem Ufer frohe Toren,

In ihren Traum ›Unsterblichkeit‹ verloren.

Am Ufer? – nein! es ist von deinem Bronnen

Tiefinnerst jede Kreatur durchronnen;

Es braust in meines Herzens wildem Takt,

Vergänglichkeit, dein lauter Katarakt!

Wenn ich dem Strome zu entfliehen meine,

Aufblickend zu der Sterne hellem Scheine,

Aufsehnend mich mit zitterndem Verlangen,[56]

Daß rettend meinen Geist sie einst empfangen:

Ich habe mich getäuscht! ich seh erbleichen

Die Sterne selbst und zitternd rückwärts weichen;

Sie hören, wie die Woge braust, sie ahnen,

Daß sie nicht sicher sind auf ihren Bahnen;

Sie schauen, wie es wächst, das grause Meer,

Und fürchten wohl: – mir sagts ihr zitternd Blinken –

Einst wird vom raschen Flug ihr strahlend Heer,

Ein müdes Schwalbenvolk, heruntersinken.

Dann brütet auf dem Ozean die Nacht,

Dann ist des Todes großes Werk vollbracht;

Dann stockt und starrt zu Eis die grause Flut,

Worin der Wunsch des finstern Gottes ruht;

Er wandelt auf der Fläche und ermißt,

Wie alles nun so still, so dunkel ist;

Er lächelt dann voll selbstzufriedner Freude

In seine Welt, in seine Nacht hinein,

Und es erglänzt des Eises stille Heide

Nur noch von seines Lächelns Widerschein! –


Der andre sprach: mir gilt es gleich,

Ob Leben – Tod – im Schattenreich!

Strahlt jenseits auch ein mildes Licht,

So fehlt gewiß der Donner nicht,

Der, was das Licht in Liebe hegt,

Mit seinem Zorne niederschlägt.

Denn glauben kann ich nimmermehr,

Es habe sich das ganze Heer

Von Qualen, die gebar Natur,

Gelagert auf die Erde nur;

Daß sie von dieser Welt nicht wandern

Mit uns hinüber in die andern,

Die doch in unsrer Brust voll Wunden

So traute Herberg stets gefunden. –[57]

Solang dies Herz auf Erden schlug,

Hab ich erlebt genug, genug,

Um ein Vergehen, ein Verschwinden –

Ein Los der Sehnsucht wert zu finden.

Und schlaf ich einst im Grab so tief,

Und tiefer, denn als Kind ich schlief,

So mag der Tod sich immerhin

Davor als Wächter stellen hin:

Er steht am stillen Grabverlies,

Ein Engel vor dem Paradies. –

Doch ist es anders mir beschlossen,

Soll drüben neu mein Leben sprossen:

Werd ich gelassen, ohne Zagen,

Auch meine Ewigkeit ertragen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 55-58.
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