Der Selbstmord

[121] Scheitert unsre Brust an Klippen,

Hingeschellt von Sturmeswut;

Trinkt mit aufgerißnen Lippen

Unsre Wunde Schmerzensflut;


Schöpft das Herz dann hastig bange

Aus der Brust den Tränenguß,

Weil es sonst, vom Wellendrange

Überströmt, versinken muß:


Dann wird auch der Sturm beschworen,

Helle wird die Finsternis,

Es vertünchen milde Horen

An der Brust den Wundenriß.


Aber ist das Herz ein zages,

Wenn die Brust die Woge trinkt,

Starrt es ob des Klippenschlages

Störrisch, müßig – und versinkt.


Ists ein wildes, ungezäumtes,

Wird es im Tumulte scheu,

Todestrunken glüht und schäumt es

Und zertrümmert sein Gebäu.


Wenn dann auch der Himmel heiter

Und mit lindem Hauche weht,

Sanft der Strom hinwiegt die Scheiter;

Für die Toten ists zu spät.


Doch ihr Schifflein, hört, ihr andern!

Seid ihr auch dem Sturm entwischt,

Ruhig mögt ihr weiter wandern,

Aber nicht gehöhnt, gezischt:


»Wie der Nachen ward zertrümmert!

Wie das Herz im Strom ersoff![122]

Warst wohl auch zu leicht gezimmert!

Warst wohl auch aus schlechtem Stoff.«


Hütet euch, ihr andern, hütet!

Denkt an eurer Fahrten Rest;

Denn die Nacht der Zukunft brütet

Manchen Sturm im dunkeln Nest.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 121-123.
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