Tränenpflege

[327] Ach, Freundin, ich habe dich gestört

In deinem verborgnen Weinen;

Nun hast du zu weinen aufgehört,

Und ruhig willst du scheinen.


Wenn deine Züge verhüllend auch

Vor deinen Schmerz sich reihen

Und ihn nicht nennt der Lippen Hauch,

Ich hör ihn im Herzen schreien.


Pfleg deinen Schmerz mit Tränen lind,

Als eine weinende Aja,

Einschläfre ihn, als wie ihr Kind

Die Mutter im Himalaya.


Sie legt das Kind im Schattengestein

Dem Tropfbach unter, vertrauend;

Die leisen Tropfen schläfern es ein,

Ihm auf die Wangen tauend.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 327.
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