Neunte Szene

[89] Die Schule. Wenzeslaus. Läuffer. Beide in schwarzen Kleidern.


WENZESLAUS. Wie hat Ihm die Predigt gefallen, Kollege! Wie hat Er sich erbaut?

LÄUFFER. Gut, recht gut.


Seufzt.


WENZESLAUS nimmt seine Perücke ab und setzt eine Nachtmütze auf. Damit ist's nicht ausgemacht. Er soll mir sagen, welche Stelle aus der Predigt vorzüglich gesegnet an Seinem Herzen gewesen. Hör Er – setz Er sich. Ich muß Ihm was sagen; ich hab eine Anmerkung in der Kirche gemacht, die mich gebeugt hat. Er hat mir da so wetterwendisch gesessen, daß ich mich Seiner, die Wahrheit zu sagen, vor der ganzen Gemeine geschämt habe und dadurch oft fast aus meinem Konzept kommen bin. Wie, dacht ich, dieser junge Kämpfer, der so ritterlich[89] durchgebrochen und den schwersten Strauß schon gewissermaßen überwunden hat – Ich muß es Ihm bekennen: Er hat mich geärgert, σκανδαλον εδιδους, έταιρε! Ich hab's wohl gemerkt, wohin es ging, ich hab's wohl gemerkt; immer nach der mittlern Tür zu, da nach der Orgel hinunter.

LÄUFFER. Ich muß bekennen, es hing ein Gemälde dort, das mich ganz zerstreut hat. Der Evangelist Markus mit einem Gesicht, das um kein Haar menschlicher aussah als der Löwe, der bei ihm saß, und der Engel beim Evangelisten Matthäus eher einer geflügelten Schlange ähnlich.

WENZESLAUS. Es war nicht das, mein Freund! bild Er mir's nicht ein; es war nicht das. Sag Er mir doch, ein Bild sieht man an und sieht wieder weg, und dann ist's alles. Hat Er denn gehört, was ich gesagt habe? Weiß Er mir Ein Wort aus meiner Predigt wieder anzuführen? Und sie war doch ganz für Ihn gehalten; ganz kasuistisch – O! o! o!

LÄUFFER. Der Gedanke gefiel mir vorzüglich, daß zwischen unsrer Seele und ihrer Wiedergeburt und zwischen dem Flachs- und Hanfbau eine große Ähnlichkeit herrsche, und so wie der Hanf im Schneidebrett durch heftige Stöße und Klopfen von seiner alten Hülse befreit werden müsse, so müsse unser Geist auch durch allerlei Kreuz und Leiden und Ertötung der Sinnlichkeit für den Himmel zubereitet werden.

WENZESLAUS. Er war kasuistisch, mein Freund –

LÄUFFER. Doch kann ich Ihnen auch nicht bergen, daß Ihre Liste von Teufeln, die aus dem Himmel gejagt worden, und die Geschichte der ganzen Revolution da, daß Luzifer sich für den schönsten gehalten – Die heutige Welt ist über den Aberglauben längst hinweg; warum will man ihn wieder aufwärmen. In der ganzen heutigen vernünftigen Welt wird kein Teufel mehr statuiert –

WENZESLAUS. Darum wird auch die ganze heutige vernünftige[90] Welt zum Teufel fahren. Ich mag nicht verdammen, lieber Herr Mandel; aber das ist wahr, wir leben in seelenverderblichen Zeiten: es ist die letzte böse Zeit. Ich mag mich drüber weiter nicht auslassen: ich seh wohl, Er ist ein Zweifler auch, und auch solche Leute muß man tragen. Es wird schon kommen; Er ist noch jung – aber gesetzt auch, posito auch, aber nicht zugestanden, unsere Glaubenslehren wären all Aberglauben über Geister, über Höll, über Teufel da – was tut's euch, was beißt's euch, daß ihr euch so mit Händen und Füßen dagegen wehrt? Tut nichts Böses, tut recht, und denn so braucht ihr die Teufel nicht zu scheuen, und wenn ihrer mehr wären wie Ziegel auf dem Dach, wie der selige Lutherus sagt. Und Aberglauben – O schweigt still, schweigt still, lieben Leut. Erwägt erst mit reifem Nachdenken, was der Aberglaube bisher für Nutzen gestiftet hat, und denn habt mir noch das Herz, mit euren nüchternen Spötteleien gegen mich anzuziehen. Reutet mir den Aberglauben aus; ja wahrhaftig der rechte Glaub wird mit drauf gehn und ein nacktes Feld da bleiben. Aber ich weiß jemand, der gesagt hat, man soll beides wachsen lassen, es wird schon die Zeit kommen, da Kraut sich von dem Unkraut scheiden wird. Aberglauben – nehmt dem Pöbel seinen Aberglauben, er wird freigeistern wie ihr und euch vor den Kopf schlagen. Nehmt dem Bauer seinen Teufel, und er wird ein Teufel gegen seine Herrschaft werden und ihr beweisen, daß es welche gibt. Aber wir wollen das bei Seite setzen – Wovon redt' ich doch? – Recht, sag Er mir, wen hat Er angesehen in der ganzen Predigt? Verhehl Er mir nichts. Ich war es nicht, denn sonst müßt Er schielen, daß es eine Schande wäre.

LÄUFFER. Das Bild.

WENZESLAUS. Es war nicht das Bild – Dort unten, wo die Mädchen sitzen, die bei ihm in die Kinderlehre gehen – Lieber Freund! es wird doch nichts vom alten Sauerteig[91] in Seinem Herzen geblieben sein – Ei, ei! wer einmal geschmeckt hat die Kräfte der zukünftigen Welt – Ich bitt Ihn, mir stehn die Haare zu Berge – Nicht wahr, die eine da mit dem gelben Haar so nachlässig unter das rote Häubchen gesteckt und mit den lichtbraunen Augen, die allemal unter den schwarzen Augbraunen so schalkhaft hervorblinzen wie die Sterne hinter Regenwolken – Es ist wahr, das Mädchen ist gefährlich; ich hab's nur einmal von der Kanzel angesehn und mußte hernach allemal die Augen platt zudrücken, wenn sie auf sie fielen, sonst wär mir's gegangen wie den weisen Männern im Areopagus, die Recht und Gerechtigkeit vergaßen um einer schnöden Phryne willen. – Aber sag Er mir doch, wo will Er hin, daß Er sich noch bösen Begierden überläßt, da's Ihm sogar an Mitteln fehlt, sie zu befriedigen? Will Er sich dem Teufel ohne Sold dahingeben? Ist das das Gelübd, das Er dem Herrn getan – ich rede als Sein geistlicher Vater mit Ihm –, Er, der itzt mit so wenig Mühe über alle Sinnlichkeit triumphieren, über die Erde sich hinausschwingen und bessern Revieren zufliegen könnte. Umarmt ihn. Ach mein lieber Sohn, bei diesen Tränen, die ich aus wahrer herzlicher Sorgfalt für Ihn vergieße: kehr Er nicht zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurück, da Er Kanaan so nahe war! Eile, eile! rette deine unsterbliche Seele! Du hast auf der Welt nichts, das dich mehr zurückhalten könnte. Die Welt hat nichts mehr für dich, womit sie deine Untreu dir einmal belohnen könnte; nicht einmal eine sinnliche Freude, geschweige denn Ruhe der Seelen – Ich geh und überlasse dich deinen Entschließungen. Geht ab. Läuffer bleibt in tiefen Gedanken sitzen.[92]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 89-93.
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