Zwölftes Kapitel

[45] Von dem Empfang, den Doña Mencia dem Gil Blas in Burgos bereitete


Am nächsten Morgen war ich nicht träge. Ich rechnete mit der Wirtin ab, die schon auf den Beinen war und mir besserer Laune schien als am Abend zuvor; ich schrieb das der Gegenwart dreier ehrenwerter Häscher der heiligen Hermandad zu, die sich sehr vertraulich mit ihr unterhielten. Sie hatten im Gasthof geschlafen; und ohne Zweifel waren sie die vornehmen Herren, für die die Betten bestellt gewesen waren.

Ich fragte im Flecken nach dem Weg zum Schloß. Zufällig wandte ich mich an einen Mann vom Charakter meines Wirts zu Pegnaflor. Er begnügte sich nicht damit, auf meine Frage zu antworten, sondern sagte mir auch, der Marquis Don Ambrosio sei seit drei Wochen tot und seine Frau habe sich in ein Kloster zu Burgos zurückgezogen, das er mir nannte. Ich ging also sofort in diese Stadt und eilte zum Kloster. Ich bat die Pförtnerin, Doña Mencia zu sagen, ein junger Mann, der kürzlich aus dem Gefängnis von Astorga entlassen sei, wünsche sie zu sprechen. Sie ließ mich in ein Sprechzimmer eintreten, wo ich nicht lange zu warten hatte. Am Gitter erschien Don Ambrosios Witwe in tiefer Trauer.

Seid willkommen, sagte die Dame huldvoll. Ich habe gerade vor vier Tagen an jemanden in Astorga geschrieben. Ich bat diesen, Euch aufzusuchen und Euch zu sagen, daß ich Euch bäte, mich zu besuchen, sobald Ihr frei wäret. Ich zweifelte nicht, daß man Euch entlassen würde: dazu genügte, was ich dem Korregidor zu Eurer Entlastung mitgeteilt hatte. Man hat mir geantwortet, daß Ihr Eure Freiheit schon wieder erlangt hättet, aber daß man nicht wisse, wo Ihr geblieben wäret. Ich fürchtete schon, Euch nicht mehr zu sehen. Tröstet Euch, fügte sie hinzu, als sie sah, wie ich mich schämte, in meinem elenden Aufzug vor ihren Augen zu erscheinen. Ich wäre[46] die undankbarste der Frauen, wenn ich nichts für Euch täte. Ich will Euch aus Eurer schlimmen Lage befreien; ich muß es und kann es. Mein Besitz ist so beträchtlich, daß ich meine Schuld gegen Euch tilgen kann, ohne daß es mir unbequem wird.

Doña Mencia zog eine Börse aus ihrem Kleid, reichte sie mir und sagte: Das sind hundert Dukaten, die ich Euch nur für Eure Kleidung gebe. Besucht mich dann noch einmal; ich gedenke, meinen Dank nicht auf so wenig zu beschränken. Ich sagte der Dame tausend Dank und schwur ihr, ich würde Burgos nicht verlassen, ohne von ihr Abschied zu nehmen. Dann suchte ich mir einen Gasthof. Ich trat in den ersten, auf den ich stieß, und verlangte ein Zimmer. Um gleich der schlechten Meinung entgegenzutreten, die mein Kittel erwecken mochte, sagte ich dem Wirt, so wie er mich sehe, sei ich doch imstande, mein Lager gut zu bezahlen. Bei diesen Worten maß mich der Wirt, der Majuelo hieß und sehr spottlustig war, von oben bis unten mit einem Blick und antwortete in kühlem und boshaftem Ton, es bedürfe nicht erst dieser Versicherung, ihn zu überzeugen, daß ich eine große Zeche machen würde; er erkenne trotz meiner Verkleidung etwas Vornehmes in mir, und er zweifle nicht, daß ich ein wohlhabender Edelmann sei. Ich sah recht wohl, daß der Spötter mich verhöhnte; und um seinen Scherzen ein Ende zu machen, zeigte ich ihm meine Börse. Ich zählte ihm sogar meine Dukaten auf den Tisch, und ich merkte, daß er zu einem günstigern Urteil über mich kam. Ich bat ihn, mir einen Schneider kommen zu lassen. Es ist besser, sagte er, einen Trödler zu holen, der wird Euch alle möglichen Kleider bringen; dann seid Ihr sofort fertig. Ich billigte diesen Rat und beschloß, ihm zu folgen. Da aber der Abend seinem Ende zuneigte, so verschob ich den Einkauf auf den folgenden Tag und dachte nur noch daran, vortrefflich zu Nacht zu speisen, um mich für all die schlechten Mahlzeiten zu entschädigen, die ich seit meiner Flucht aus der Höhle eingenommen hatte.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 45-47.
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