Elftes Kapitel

[345] Wer Catalina war. Gil Blas' Verlegenheit und Sorgen; welche Vorsichtsmaßregel er zu ergreifen gezwungen war, um sich zu beruhigen


Als ich nach Hause kam, hörte ich lauten Lärm. Ich fragte nach der Ursache. Man sagte mir, Scipio gäbe heute abend einem halben Dutzend seiner Freunde ein Essen. Sie sangen aus vollem Halse und lachten laut. Dies Gastmahl war sicherlich nicht das Bankett der sieben Weisen.

Als der Gastgeber von meiner Rückkehr hörte, sagte er zu seiner Gesellschaft: Meine Herren, es ist nichts; nur der Herr, der nach Hause kommt; laßt euch nicht stören und vergnügt euch weiter; ich will ihm nur ein paar Worte sagen und komme sofort zurück. Er suchte mich auf. Was für ein Lärm! sagte ich. Was für Leute bewirtet Ihr denn da unten? Sind es Dichter? Nein, wenns beliebt, versetzte er. Es wäre schade um den Wein; ich mache bessern Gebrauch von ihm. Unter meinen Gästen ist ein sehr reicher junger Mann, der für sein Geld durch Euren Einfluß ein Amt erhalten will. Seinetwegen findet das Fest statt. Bei jedem Schluck, den er trinkt, erhöhe ich Euren Gewinn um zehn Pistolen. Er soll bis Tagesanbruch trinken. In diesem Fall, erwiderte ich, geh, setze dich wieder zu Tisch und spare nicht mit dem Wein meines Kellers.

Ich hielt es nicht für geraten, ihn schon jetzt über Catalina zu befragen; aber als ich am folgenden Morgen aufstand, sagte ich zu ihm: Freund Scipio, du weißt, wie wir zusammen leben. Ich behandle dich mehr wie einen Kameraden als[345] wie einen Diener; es wäre also unrecht von dir, mich wie einen Herrn zu täuschen. Laß uns voreinander keine Geheimnisse haben. Ich will dir etwas sagen, was dich überraschen wird, und du sollst mir dafür sagen, was du von den Dirnen hältst, die ich durch dich kennenlernte. Unter uns, ich halte sie für um so durchtriebenere Schelminnen, je besser sie die Einfalt spielen. Wenn ich ihnen nicht unrecht tue, so hat der Prinz nicht viel Grund, mit mir zufrieden zu sein; denn ich will dir gestehn, für ihn hatte ich die Geliebte von dir verlangt. Ich habe ihn zu Catalina geführt, er hat sich in sie verliebt. Gnädiger Herr, erwiderte Scipio, Ihr behandelt mich zu gut, als daß ich nicht gegen Euch aufrichtig sein müßte. Ich hatte gestern ein Tete-a-tete mit der Dienerin der beiden Prinzessinnen; sie hat mir ihre Geschichte erzählt, die mir belustigend schien: ich will sie Euch in Kürze berichten, und Ihr werdet es nicht bereuen, wenn Ihr mich anhört.

Catalina, fuhr er fort, ist die Tochter eines kleinen aragonischen Edelmanns. Da sie mit fünfzehn Jahren eine ebenso arme wie hübsche Waise war, so erhörte sie einen alten Kommandanten, der sie nach Toledo führte, wo er sechs Monate darauf verstarb, nachdem er ihr mehr Vater als Gatte gewesen war. Sie erbte ein paar Sachen und dreihundert Pistolen in bar. Sie verband sich dann mit der Señora Mencia, die noch gesucht war, obgleich es mit ihr schon bergab ging. Diese beiden Freundinnen zogen zusammen und begannen einen Lebenswandel, für den sich die Justiz zu interessieren begann. Das mißfiel den Damen, die aus Ärger oder aus andern Gründen Toledo plötzlich den Rücken kehrten und sich in Madrid niederließen, wo sie seit etwa zwei Jahren leben, ohne mit irgendeiner Dame der Nachbarschaft zu verkehren. Aber hört das Beste: sie haben zwei kleine, nur durch eine Mauer getrennte Häuser gemietet; über eine Verbindungstreppe, die durch die Keller führt, kann man aus dem einen in das andre kommen. In dem einen wohnt die Señora Mencia[346] mit einer jungen Nichte, in dem andern die Witwe des Kommandanten mit einer alten Dueña, die sie als ihre Großmutter ausgibt. So also ist unsere Aragonesin bald eine von ihrer Tante aufgezogene Nichte, bald eine Enkelin unter der Obhut ihrer Großmutter; als Nichte heißt sie Catalina, als Enkelin Sirena.

Bei dem Namen Sirena unterbrach ich Scipio erbleichend. Was sagst du mir da? rief ich; du machst mir angst. Oh, ich fürchte sehr, diese verfluchte Aragonesin ist Calderones Geliebte! Ja, versetzte er, sie ist es wirklich. Ich glaubte, Euch mit dieser Nachricht eine Freude zu machen. Das ist nicht dein Ernst, erwiderte ich. Sie kann mir eher Kummer als Freude bereiten; siehst du denn die Folgen nicht? Nein, meiner Treu! rief Scipio aus. Welches Unheil sollte daraus entstehn? Es ist nicht anzunehmen, daß Don Rodrigo erfährt, was vorgeht; und wenn Ihr fürchtet, daß man ihn aufklärt, braucht Ihr nur den ersten Minister ins Vertrauen zu ziehn. Erzählt ihm das ganz einfach: er wird Eure gute Absicht erkennen; und wenn Calderone Euch dann bei Seiner Exzellenz einen schlimmen Dienst leisten will, so weiß der Herzog, daß er Euch nur aus Rache zu schaden sucht.

Durch diese Worte benahm mir Scipio meine Angst. Ich folgte seinem Rat und teilte dem Herzog von Lerma die ärgerliche Entdeckung mit. Ich setzte sogar, um ihn glauben zu machen, es schmerzte mich, daß ich unschuldigerweise dem Prinzen Rodrigos Geliebte ausgeliefert hätte, eine betrübte Miene auf, als ich ihm alles ausführlich erzählte; aber statt seinen Günstling zu beklagen, spottete der Minister nur über ihn. Dann sagte er mir, ich solle ruhig fortfahren, und schließlich sei es für Calderone nur rühmlich, daß er dieselbe Dame liebe wie der Prinz von Spanien und daß er von ihr nicht schlechter behandelt werde als jener. Auch den Grafen von Lemos zog ich ins Vertrauen, und er versicherte mich seines Schutzes, wenn etwa der erste Sekretär die Intrige entdecken und suchen sollte, mir beim Herzog zu schaden.[347]

Ich glaubte, das Boot meines Glücks durch dieses Manöver vor der Gefahr des Strandens gesichert zu haben, und fürchtete nichts mehr. Immer noch begleitete ich den Prinzen zu Catalina, alias der schönen Sirena, die es mit Hilfe der Kunst der Ausflüchte verstand, Don Rodrigo von ihrem Hause fernzuhalten und ihm die Nächte zu entziehen, die sie seinem erlauchten Nebenbuhler widmen mußte.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 345-348.
Lizenz: