Neuntes Kapitel

[333] Gil Blas' Charakter verdirbt bei Hofe vollends. Welchen Auftrag ihm der Graf von Lemos gab und in welche Intrige dieser Edelmann und er sich einließen


Als bekannt wurde, daß der Herzog von Lerma mich liebte, hatte ich bald einen Hof. Jeden Morgen stand mein Vorzimmer voller Leute, und beim Lever gab ich Audienzen. Zwei Klassen von Menschen kamen zu mir: die einen suchten mich durch Bezahlung zu gewinnen, die andern durch Bitten, damit sie umsonst erhielten, was sie wünschten. Die ersten wurden sicher gehört und bedient; die zweiten schüttelte[333] ich entweder sofort durch Ausreden ab, oder ich hielt sie so lange hin, daß ihnen schließlich die Geduld riß. Bevor ich bei Hofe war, war ich von Natur mild und mitleidig gewesen; aber dort legt man menschliche Schwächen ab, und ich wurde hart wie ein Kiesel. So erkaltete auch das Gefühl für meine Freunde. Als Beispiel diene die Art, wie ich bei bestimmter Gelegenheit gegen Joseph Navarro verfuhr.

Dieser Navarro, dem ich so viel verdankte und der, um alles mit einem Wort zu sagen, der Urheber meines Glückes war, kam eines Tages zu mir. Nachdem er mich mit großer Herzlichkeit begrüßt hatte – das tat er, sooft er mich sah –, bat er mich, dem Herzog von Lerma einen seiner Freunde für ein bestimmtes Amt vorzuschlagen; er fügte hinzu, der Kavalier, für den er meine Fürsprache erbitte, sei ein sehr liebenswerter, verdienstvoller junger Mann, der aber, um leben zu können, eine Stellung brauche. Ich zweifle nicht, sagte Joseph, da ich Euch als gut und entgegenkommend kenne, daß Ihr erfreut seid, einem Ehrenmann, der nicht reich ist, einen Gefallen tun zu können. Das hieß mir offen sagen, daß man diesen Dienst umsonst erwarte. Obgleich das keineswegs nach meinem Geschmack war, tat ich doch, als wäre ich gern dazu bereit. Ich freue mich, antwortete ich Navarro, Euch zeigen zu können, wie sehr ich Euch für alles, was Ihr an mir getan habt, danke. Es genügt, daß Ihr Euch für jemanden interessiert, mich zu bestimmen, daß ich ihm diene. Euer Freund soll dies Amt haben, das Ihr für ihn wünscht, zählt darauf. Es ist nicht mehr Eure Angelegenheit, sondern die meine.

Joseph ging, sehr mit mir zufrieden, davon; trotzdem erhielt sein Freund jene Stellung nicht. Ich ließ sie für tausend Dukaten einem andern geben. Diese Summe war mir lieber als der Dank meines Küchenchefs. Und als wir uns wiedersahen, sagte ich mit betrübter Miene: Ach, mein lieber Navarro, Ihr habt zu spät daran gedacht, mit mir zu reden. Calderone[334] ist mir zuvorgekommen: er hat das Amt vergeben lassen. Ich bin in Verzweiflung, Euch keine bessere Nachricht geben zu können. Joseph glaubte an meinen guten Willen, und wir verließen uns befreundeter als je; aber ich glaube, er entdeckte bald die Wahrheit, denn er kam nicht wieder zu mir. Statt Gewissensbisse zu spüren, daß ich einen wirklichen Freund so behandelt hatte, war ich froh darüber. Die Dienste, die er mir geleistet hatte, lasteten auf mir, und obendrein schien mir, bei meiner Stellung am Hofe zieme es sich nicht mehr für mich, mit Haushofmeistern zu verkehren.

Ich habe lange nicht mehr vom Grafen von Lemos gesprochen; kommen wir nun auf diesen Edelmann zurück. Ich sah ihn zuweilen. Ich hatte ihm, wie oben berichtet ist, tausend Pistolen gebracht, und ich brachte ihm auf Befehl seines Onkels noch tausend weitere von dem Gelde, das ich von Seiner Exzellenz in Händen hatte. An diesem Tage wollte der Graf von Lemos eine lange Unterredung mit mir haben. Er sagte mir, er sei endlich zum Ziel gekommen und besitze jetzt die Gunst des Prinzen von Spanien, dessen einziger Vertrauter er sei, uneingeschränkt. Dann betraute er mich mit einer sehr ehrenden Aufgabe, auf die er mich schon vorbereitet hatte. Freund Santillana, sagte er, jetzt gilt es zu handeln. Versäumt nichts, um eine junge Schönheit zu entdecken, die fähig ist, diesen galanten Prinzen zu fesseln. Ihr habt Verstand; ich sage Euch nichts weiter. Geht, eilt, sucht, und wenn Ihr eine glückliche Entdeckung gemacht habt, so kommt und meldet es mir. Ich versprach dem Grafen, nichts zu versäumen und mich seines Auftrages gut zu entledigen, der nicht schwer auszuführen sein konnte, da es sich um eine Sache handelte, mit der sich so viele Menschen befassen.

Ich hatte nicht viel Übung in solchen Dingen; aber ich zweifelte nicht daran, daß Scipio auch dafür wie geschaffen sein würde. Sowie ich zu Hause war, rief ich ihn und sagte ihm unter vier Augen: Mein Freund, ich habe dir eine wichtige[335] vertrauliche Mitteilung zu machen. Weißt du, daß ich inmitten aller Güter des Glücks doch fühle, wie mir eins fehlt! Ich errate leicht, was es ist, unterbrach er mich: Ihr braucht eine liebenswürdige Nymphe, die Euch ein wenig zerstreut und aufheitert. Und in der Tat, es ist erstaunlich, daß Ihr im Frühling Eurer Tage keine habt, während ernste Graubärte sie nicht entbehren können. Ich bewundere deinen Scharfsinn, sagte ich lächelnd. Ja, mein Freund, eine Geliebte brauche ich, und ich will sie aus deiner Hand. Aber ich warne dich, ich bin sehr wählerisch: ich verlange eine hübsche Person und keine von schlechten Sitten! Was Ihr wünscht, versetzte Scipio, ist ein wenig selten. Aber Gott sei Dank, wir sind in einer Stadt, wo von allem vorhanden ist; und ich hoffe, ich werde bald gefunden haben, was Ihr braucht.

Wirklich sagte er mir schon nach drei Tagen: Ich habe einen Schatz entdeckt. Eine junge Dame namens Catalina, von guter Familie und entzückender Schönheit, wohnt unter der Obhut ihrer Tante in einem kleinen Hause, wo sie von ihrem kleinen Vermögen sehr anständig leben. Eine Zofe, die ich kenne, sorgt für ihre Bedienung. Sie versichert mir, ihre Tür werde sich, obgleich sie sonst aller Welt verschlossen sei, vielleicht einem reichen, freigebigen Galan auftun, vorausgesetzt, daß er nur nachts und unauffällig ins Haus kommen wolle, damit kein Ärgernis erregt werde. Da habe ich Euch als einen Kavalier geschildert, der es verdiene, offenes Tor zu finden, und ich habe die Zofe gebeten, Euch den beiden Damen vorzuschlagen. Sie hat es mir versprochen und will mir morgen an einem verabredeten Ort die Antwort sagen. Gut, erwiderte ich; aber ich fürchte, das Kammermädchen, mit dem du gesprochen hast, hat dir einen Bären aufgebunden. Nein, nein, versetzte er, mir macht man nichts weis, ich habe schon die Nachbarn ausgefragt; und ich schließe aus allem, was sie mir gesagt haben, daß die Señora Catalina ganz ist, was Ihr nur wünschen könnt, das heißt, eine[336] Danae, bei der Ihr kraft eines Goldregens den Jupiter spielen könnt.

Sosehr ich gegen derartige Abenteuer eingenommen war, zu diesem war ich bereit; und da das Kammermädchen Scipio am folgenden Tage sagte, es stehe bei mir, noch selbigen Abends in das Haus ihrer Herrinnen eingeführt zu werden, so schlich ich mich zwischen elf und Mitternacht hin. Die Zofe empfing mich ohne ein Licht und führte mich an der Hand in ein recht sauberes Zimmer, wo ich die beiden Damen in eleganter Kleidung auf Atlaspolstern sitzen sah. Als sie mich sahen, standen sie auf und begrüßten mich auf höchst anmutige Art; ich glaubte zwei Damen von Stande zu sehn. Die Tante, die man die Señora Mencia nannte, zog, obgleich sie noch schön war, meine Blicke nicht auf sich. Ich mußte immer nur die Nichte betrachten, die mir wie eine Göttin erschien. Bei strenger Prüfung hätte man allerdings sagen können, daß sie keine vollkommene Schönheit sei; aber sie hatte Anmut und etwas Pikantes und Wollüstiges, was den Augen der Männer kaum erlaubte, ihre Fehler zu bemerken.

Ihr Anblick verwirrte mir die Sinne. Ich vergaß, daß ich nur als Kuppler kam; ich sprach in meinem eignen Namen und redete als leidenschaftlicher Mann. Die Nichte, deren Geist ich dreifach überschätzte, so reizend schien sie mir, bezauberte mich durch ihre Antworten vollends. Ich verlor schon die Herrschaft über mich, als die Tante, um meine Glut zu mäßigen, das Wort ergriff und sagte: Herr von Santillana, ich will offen mit Euch reden. Da man mir Euer Gnaden gerühmt hat, so habe ich Euch den Zutritt bei mir gestattet, ohne Euch durch Umständlichkeiten den Wert dieser Gunst zum Bewußtsein zu bringen: aber glaubt nicht, daß Ihr darum schon weiter gekommen seid; ich habe meine Nichte bislang in aller Zurückgezogenheit erzogen, und Ihr seid sozusagen der erste Kavalier, dessen Blicken ich sie aussetze. Wenn Ihr sie für würdig haltet, Eure Gattin zu werden, so[337] werde ich von dieser Ehre entzückt sein; seht zu, ob sie Euch zu diesem Preise paßt: billiger werdet Ihr sie nicht bekommen.

Dieser Schuß aus unmittelbarer Nähe verscheuchte Amor, als er gerade den Pfeil auf mich entsenden wollte. Um ohne Metapher zu reden: vor dem so offen gemachten Vorschlag einer Heirat ging ich in mich und wurde sofort wieder zum treuen Agenten des Grafen von Lemos. Ich wechselte den Ton und gab der Señora Mencia zur Antwort: Gnädige Frau, Eure Offenheit gefällt mir, und ich will sie nachahmen. Welche Rolle ich auch bei Hofe spiele, die unvergleichliche Catalina verdiene ich nicht; ich habe eine glänzendere Partie für sie an der Hand: ich schlage ihr den Prinzen von Spanien vor. Es genügte, meine Nichte abzulehnen, versetzte die Tante kühl; die Ablehnung, scheint mir, war unliebenswürdig genug; es war nicht nötig, sie mit Spott zu begleiten. Ich spotte nicht, gnädige Frau, rief ich aus; es ist mein voller Ernst. Ich habe Auftrag, eine Dame zu suchen, die die Ehre heimlicher Besuche des Prinzen von Spanien verdient, und ich finde sie in Eurem Hause.

Die Señora Mencia war äußerst erstaunt über meine Worte, und ich merkte, daß sie ihr nicht mißfielen. Da sie aber glaubte, die Zurückhaltende spielen zu müssen, erwiderte sie: Und wenn ich auch wörtlich nähme, was Ihr mir sagt, erfahrt, daß ich nicht die Frau bin, mich zu der schmählichen Ehre zu beglückwünschen, daß meine Nichte des Prinzen Geliebte wird. Meine Tugend empört sich gegen den Gedanken ... Ihr seid wundervoll, unterbrach ich sie, mit Eurer Tugend! Ihr denkt wie eine unerfahrene Bürgersfrau! Macht Ihr Euch über mich lustig, daß Ihr diese Dinge vom moralischen Standpunkt anseht? Dann nimmt man ihnen allerdings ihre ganze Schönheit, die man sonst entzückten Auges betrachten würde. Seht den Erben der Monarchie zu Füßen der glücklichen Catalina; stellt Euch vor, er bete sie an, überhäufe sie mit Geschenken; bedenkt endlich, daß der Verbindung[338] vielleicht ein Held entsprießt, der den Namen seiner Mutter mit dem seinen unsterblich macht.

Obgleich die Tante sich nichts Besseres wünschte, als was ich vorschlug, tat sie doch, als wüßte sie nicht, wozu sie sich entschließen sollte; und Catalina, die den Prinzen von Spanien gern schon gehabt hätte, heuchelte große Gleichgültigkeit. Ich stürzte mich von neuem in Kosten und drängte, bis endlich die Señora Mencia, als sie mich bereit sah, die Belagerung aufzuheben, das Signal der Übergabe blies; und wir schlossen einen Vertrag, der die beiden folgenden Artikel enthielt: Erstens: Wenn der Prinz auf den Bericht hin, den man ihm von Catalinas Reizen erstatten würde, Feuer fing und sich entschloß, ihr einen nächtlichen Besuch zu machen, so sollte ich dafür sorgen, daß die Damen benachrichtigt würden. Zweitens: Der Prinz dürfe nur in Zivil kommen, begleitet einzig von mir und seinem Obermerkur.

Nach diesem Vertragsschluß erwiesen mir Tante wie Nichte große Freundlichkeit; sie nahmen ein vertrauliches Wesen gegen mich an, das mich ermutigte, ein paar Umarmungen zu wagen, die nicht allzu übel aufgenommen wurden; und als wir uns trennten, küßten sie mich von selber unter allen erdenklichen Liebkosungen. Es ist wunderbar, wie leicht sich zwischen den Maklern der Galanterie und den Frauen, die sie brauchen, Beziehungen anknüpfen. Als ich so begünstigt davonging, hätte man mich für glücklicher halten können, als ich war.

Der Graf von Lemos war äußerst erfreut, als ich ihm meldete, ich hätte eine Entdeckung gemacht, wie er sie nur wünschen könnte. Ich sprach ihm in Worten von Catalina, die das Verlangen in ihm erweckten, sie zu sehn. Ich führte ihn in der folgenden Nacht zu ihr, und er gestand, ich hätte es gut getroffen. Er sagte den Damen, er zweifelte nicht, daß der Prinz von Spanien mit der von mir erwählten Nichte zufrieden sein und sie ihrerseits sich über einen solchen Liebhaber nicht zu beklagen haben werde. Dann nahm der Edelmann[339] Abschied von ihnen, und ich zog mich mit ihm zurück. Er fuhr mich vor mein Haus und beauftragte mich, am folgenden Tage seinem Onkel von diesem angebahnten Abenteuer zu berichten und ihn in seinem Namen für die weitere Fortführung um tausend Pistolen zu bitten.

Ich versäumte nicht, dem Herzog von Lerma tags darauf genauen Bericht zu erstatten. Ich verbarg ihm nur eins. Ich sprach nicht von Scipio: ich gab mich als Entdecker Catalinas aus; denn bei den Großen macht man sich aus allem eine Ehre.

Dadurch zog ich mir sauersüße Komplimente zu. Herr Gil Blas, sagte der Minister in spöttischem Ton, ich bin entzückt, daß Ihr bei all Euren sonstigen Talenten auch noch das besitzt, gefällige Schönheiten aufzuspüren! Wenn ich einmal welche brauche, so werdet Ihr erlauben, daß ich mich an Euch wende. Euer Gnaden, erwiderte ich im gleichen Ton, ich danke Euch für den Vorzug, aber Ihr werdet mir erlauben, daß ich Bedenken trage, Eurer Exzellenz solche Vergnügungen zu verschaffen. Der Herr Don Rodrigo hat dieses Amt seit so langer Zeit im Besitz, daß es unrecht wäre, ihn zu berauben. Der Herzog lächelte über meine Antwort; dann wechselte er das Thema und fragte, ob sein Neffe für diesen Streich kein Geld brauche. Verzeiht, sagte ich, er bittet Euch, ihm tausend Pistolen zu schicken. Nun, versetzte der Minister, du brauchst sie ihm nur zu bringen; sage ihm, er solle nicht sparen und jeder Ausgabe Beifall zollen, die der Prinz etwa zu machen wünsche.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 333-340.
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