Zweites Kapitel

[170] Wie Aurora Gil Blas empfing und was sie miteinander sprachen


Ich fand Aurora im Negligé. Ich grüßte sie sehr achtungsvoll und so anmutig, wie ich nur konnte. Sie empfing mich lachend und nötigte mich, wider meinen Willen neben ihr Platz zu nehmen; und was mich vollends entzückte: sie befahl ihrer Botin, uns allein zu lassen. Dann richtete sie das Wort an mich: Gil Blas, sagte sie, Ihr werdet bemerkt haben, daß ich Euch mit freundlichem Auge ansehe und Euch vor allen Dienern meines Vaters auszeichne; und wenn meine Blicke Euch noch nicht verraten hatten, daß ich Euch wohlwill, so werdet Ihr nach dem Schritt, den ich heute nacht unternehme, nicht mehr daran zweifeln.[170]

Ich ließ ihr keine Zeit, mir noch mehr zu sagen. Ich glaubte, als zartfühlender Mann ihrer Scham ersparen zu müssen, daß sie sich noch förmlicher erklärte. Ich sprang feurig auf, warf mich wie ein Theaterheld ihr zu Füßen und rief in deklamierendem Ton: Ach! edles Fräulein, habe ich Euch recht verstanden? Gelten diese Worte mir? Wäre es möglich, daß Gil Blas, bisher das Spielzeug der Fortuna und der Sündenbock der Natur, das Glück hat, Euch Empfindungen einzuflößen ...? Sprecht nicht so laut, unterbrach meine Herrin mich lachend, sonst weckt Ihr meine Frauen, die im Nebenzimmer schlafen. Steht auf, setzt Euch wieder und hört mich bis zum Schluß an, ohne mir ins Wort zu fallen. Ja, Gil Blas, fuhr sie in ernsterem Tone fort, ich will Euch wohl, und um Euch meine Achtung zu beweisen, will ich Euch ein Geheimnis anvertrauen, von dem das Glück meines Lebens abhängt. Ich liebe einen jungen, schönen Kavalier von erlauchter Geburt: er heißt Don Luis Pacheco. Ich sehe ihn bisweilen auf der Promenade und im Schauspiel; aber ich habe nie mit ihm gesprochen. Ich weiß nicht einmal, wie sein Charakter ist und ob er schlechte Eigenschaften hat. Darüber möchte ich gern unterrichtet sein. Ich brauche einen Menschen, der sich sorgfältig nach seinen Sitten erkundigt und mir getreu darüber berichtet. Ich wähle Euch vor all unsern andern Bedienten. Ich glaube, ich laufe keine Gefahr, wenn ich Euch diesen Auftrag gebe. Ich hoffe, Ihr werdet Euch seiner geschickt und verschwiegen entledigen, und ich werde es nicht zu bereuen haben, daß ich Euch ins Vertrauen zog.

Hier hielt meine Herrin inne, um zu hören, was ich darauf antworten würde. Ich war zunächst etwas fassungslos, da ich auf so falsche Fährte geraten war; aber ich faßte mich schnell. Ich bezwang die Scham, die stets die Folge unglücklicher Verwegenheit ist, und bezeigte der Dame so viel Eifer für ihre Interessen, widmete mich ihrem Dienst mit so viel Glut, daß ich, konnte ich ihr auch den Gedanken nicht mehr[171] nehmen, ich hätte mir törichterweise geschmeichelt, ihr zu gefallen, wenigstens zeigte, wie trefflich ich eine Dummheit wiedergutzumachen wußte. Ich verlangte nur zwei Tage, um ihr über Don Luis Bericht zu erstatten. Dann führte die Dame Ortiz, die auf den Ruf ihrer Herrin herbeikam, mich in den Garten zurück, wo sie mir zum Abschied mit spöttischer Stimme sagte: Gute Nacht, Gil Blas; ich empfehle Euch nicht mehr, Euch rechtzeitig zum nächsten Stelldichein einzufinden, denn ich kenne Eure Pünktlichkeit nur zu gut.

Ich kehrte in mein Zimmer zurück, nicht ohne einigen Ärger um der getäuschten Hoffnung willen. Ich war jedoch vernünftig genug, mich darüber zu trösten. Ich sagte mir, es käme mir eher zu, der Vertraute meiner Herrin zu sein als ihr Geliebter. Ich sagte mir sogar, es könnte zu etwas Gutem führen; Liebesvermittler werden ja meist für ihre Mühe gut entlohnt; und ich legte mich mit dem Entschluß zu Bett, Auroras Wünsche zu erfüllen. Zu dem Zweck ging ich am folgenden Morgen aus. Die Wohnung eines Kavaliers wie Don Luis war nicht schwer zu finden. Ich erkundigte mich in der Nachbarschaft nach ihm; aber die Leute, an die ich mich wandte, konnten meine Neugier nicht voll befriedigen; ich mußte daher meine Nachforschungen am zweiten Tage von neuem beginnen. Nun hatte ich mehr Glück. Zufällig traf ich auf der Straße einen mir bekannten Burschen, und wir blieben stehn, um zu plaudern. Da kam einer seiner Freunde vorbei, der uns ansprach und sagte, er sei soeben von Don Joseph Pacheco, dem Vater des Don Luis, fortgejagt worden, weil man ihn beschuldigt hätte, ein Fäßchen Wein getrunken zu haben. Diese Gelegenheit, mich nach allem zu erkundigen, was ich zu wissen wünschte, ließ ich nicht unbenutzt vorbeigehn; und als ich nach Hause kam, war ich sehr zufrieden, meiner Herrin Wort halten zu können. Am Abend war ich diesmal nicht mehr so unruhig; und statt die Reden meines alten Herrn nur voller Ungeduld zu[172] ertragen, brachte ich ihn vielmehr selber auf seine Feldzüge. In der größten Ruhe hörte ich die Mitternachtsstunde schlagen, und erst, als ich mehrere Glocken hatte erklingen hören, stieg ich, ohne mich zu salben und zu parfümieren, in den Garten hinab.

Die getreue Dueña fand ich schon vor, und boshaft stichelte sie über meinen Mangel an Eile. Ich gab ihr keine Antwort und ließ mich von ihr in Auroras Zimmer führen. Sobald ich erschien, fragte meine junge Herrin mich, ob ich mich nach Don Luis erkundigt und viel erfahren hätte. Ja, edles Fräulein, sagte ich, ich kann Eure Neugier befriedigen. Zunächst will ich Euch sagen, daß er im Begriff steht, nach Salamanca zurückzukehren, um seine Studien zu beenden. Er ist nach allem, was ich höre, ein junger Edelmann von Ehre und Rechtlichkeit. An Mut kann es ihm nicht mangeln, denn er ist Kavalier und Kastilianer. Ferner hat er Geist und liebenswürdige Manieren. Nur eins wird vielleicht nicht ganz nach Eurem Geschmack sein, und doch kann ich es Euch nicht verschweigen: er ist ein wenig zu sehr wie alle jungen Herren: er ist verteufelt leichtfertig. Wißt Ihr, daß er in seinem Alter schon zwei Komödiantinnen ausgehalten hat? Was sagt Ihr mir? rief Aurora aus. Was für Sitten! Aber seid Ihr auch sicher, Gil Blas, daß er ein so lockeres Leben führt? Ich zweifle nicht daran, edles Fräulein, erwiderte ich. Ein Kammerdiener, den man heute morgen bei ihm verabschiedet hat, hat es mir gesagt; und die Diener sagen die Wahrheit, wenn sie sich über die Fehler ihrer Herren unterhalten. Im übrigen verkehrt er mit Don Alexo Segiar, Don Antonio Centelles und Don Fernando de Gamboa: das allein spricht zwingend für seine Leichtfertigkeit. Genug, Gil Blas, sagte da meine Herrin seufzend; ich werde auf Euren Bericht hin meine unwürdige Liebe bekämpfen. Wenn sie auch in meinem Herzen schon tiefe Wurzeln geschlagen hat, so hoffe ich doch noch, sie auszuroden. Geht, fuhr sie fort, indem sie mir eine[173] kleine Börse reichte, die nicht leer war, das gebe ich Euch für Eure Mühe. Hütet Euch, mein Geheimnis zu offenbaren; bedenkt, daß ich es Eurer Verschwiegenheit anvertraute.

Ich beteuerte meiner Herrin, ich sei der verschwiegenste aller Diener, und sie könne ruhig sein. Dann zog ich mich zurück, voll ungeduldiger Neugier auf den Inhalt der Börse. Ich fand nur zwanzig Pistolen darin. Sofort kam mir der Gedanke, daß Aurora mir zweifellos mehr gegeben hätte, wäre meine Nachricht gut gewesen; denn für eine schlechte war sie reichlich bezahlt. Ich bereute, es nicht den Leuten von der Justiz gleich getan zu haben, die in ihren Protokollen die Wahrheit bisweilen schminken. Ich ärgerte mich, daß ich diese Liebelei, die sich mir in der Folge hätte sehr nützlich erweisen können, wenn ich nicht dummerweise aufrichtig gewesen wäre, gleich im Entstehen vernichtet hatte. Freilich war ich zunächst für den unangebrachten Aufwand an Pomaden und Parfüms entschädigt.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 170-174.
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