XXIX. Tiresias

[257] Antoninus Liberalis c. 17


Tiresias nahm seinen Stab, und ging über Feld. Sein Weg trug ihn durch einen heiligen Hain, und mitten in dem Haine, wo drei Wege einander durchkreuzten, ward er ein Paar Schlangen gewahr, die sich begatteten. Da hub Tiresias[257] seinen Stab auf, und schlug unter die verliebten Schlangen. – Aber, o Wunder! Indem der Stab auf die Schlangen herabsank, ward Tiresias zum Weibe.

Nach neun Monden ging das Weib Tiresias wieder durch den heiligen Hain; und an eben dem Orte, wo die drei Wege einander durchkreuzten, ward sie ein Paar Schlangen gewahr, die mit einander kämpften. Da hub Tiresias abermals ihren Stab auf, und schlug unter die ergrimmten Schlangen, und – O Wunder! Indem der Stab die kämpfenden Schlangen schied, ward das Weib Tiresias wieder zum Manne.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 257-258.
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