Eilfter Brief

Sophie an Marien

[71] Wollte Gott, meine Freundinn, daß Ihr Brief, oder irgend etwas anders mich zu zerstreuen vermöchte; aber nichts ist fähig, sein Andenken in mir zu vertilgen. Hätte es nicht wenigstens die Höflichkeit erfordert, einmal zu kommen? Aber nein, seine Louise (meine Hand widerstrebt dieß Wort zu schreiben. Ha seine Louise! Ihr Karlsheim! Verwünschte Ausdrücke!) wird wohl sein ganzes Herz so ausfüllen,[71] daß nicht einmal mehr ein Platz für allgemeine Höflichkeit darinn leer ist.

Auf heute Nachmittag sind wir zu Hofrath G. gebeten. Er wird vermuthlich da seyn, gewiß auch Louise. Wie werde ich ihren Anblick ertragen können? Wie wird sie sich brüsten, die Stolze! Ich wollte erst nicht hingehen; aber hätte das nicht geschienen, als flöhe ich vor ihm? Er sollte sich wohl gar eingebildet haben, ich wäre empfindlich über seine Gleichgültigkeit. Nein, den Triumph soll er nicht haben. Ich werde hingehen, ich werde ihm mit dem Kaltsinn begegnen, den er verdient. Aber ich werde ganz den Schein vermeiden, als befremde mich seine Grobheit. Ich werde mich zur Lustigkeit zwingen; will mit den jungen Herren scherzen, ihre Einfälle belachen, nur den seinigen durch verächtliches Lächeln antworten. Ich will sogar mit ihm und seiner Braut scherzen. Kurz, ich will meine Rolle meisterhaft spielen.


Fortsetzung.

[72] Der Tag ist vorüber. O Marie, wie schwach sind wir doch! Gott, wie reizend sah er aus! Eine gewisse Traurigkeit, die in seinem Gesichte herrschte, hätte beynahe meinen ganzen Zorn vertilgt. Mit einem seelenvollen Blick fragte er nach meinem Befinden. Was kostete es mich nicht, ihm mit einer kalten Miene und einem gleichgültigen Ton zu antworten! Ach! und ich fürchte, es gelang mir nur halb. Es war mir unmöglich, lustig zu seyn, und mit Beschämung gesteh' ichs, ich mußte alle Gewalt anwenden, um Thränen zu verbergen, die hervorbrechen wollten; aber sie fielen bitter auf mein Herz. Wenn sein Blick mir begegnete, so schlug er erröthend die Augen nieder, und einmal glaubte ich Thränen darinn zu sehen. Als wir nach Hause gehen wollten, bot er mir seine Begleitung an. Ich schlug sie unter einem Vorwande aus; er wurde hochroth und stutzte, entfernte[73] sich aber gleich mit einer tiefen Verbeugung, und ich war sehwach genug, meine abschlägige Antwort zu bereuen. Doch ich Thörinn! die Ursache seines Schmerzes war ja nur, weil Louise ihm fehlte. O so sey es auch verschworen, je wieder an dich zu denken, falscher Karlsheim! Uebermorgen komme ich zu Ihnen, Marie.

Sophie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 71-74.
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