Zwölfter Brief

Karlsheim an Wilhelm B.

[74] Ich bin verloren, Freund! Dieses Herz, das immer den Meister über mich spielt, wird auch dießmal siegen. Du solltest sie sehen, und du würdest mich entschuldigen. Ein Engel kann nicht reizender seyn. Grazie in jeder ihrer Bewegungen, die liebenswürdigste Lebhaftigkeit des Geistes,[74] mit dem gefühlvollsten Herzen, machen sie zur Liebenswürdigsten ihres Geschlechts. Nenne mich nicht schwach, Wilhelm, ich habe gekämpft, gerungen; habe zehn Tage (die quaalvollsten meines Lebens!) sie nicht gesehen. Oft riß meine Empfindung mich zu ihr hin. Ich sah schon von ferne das Haus, die Wohnung meines angebeteten Engels, und doch siegte ich über mich, und kehrte um. Nun war mein Zimmer mir ein Ort der Quaal; ich selbst mir eine Last. Möchtet ihr niemals wiederkehren, schreckliche Stunden! – Ach! Wilhelm, heute sah ich sie. Ich war zu Hofrath G. gebeten. Sie trat ins Zimmer. Eine lebhafte Röthe überzog ihre Wangen, als sie mich sah. Mein Herz schlug unbändig, ich mußte zu ihr hin. Aber, Gott, sie empfieng mich so kalt; ich glaubte Unwillen in ihren schönen Augen zu sehen, und so kalt und traurig blieb sie den ganzen Tag. Der lebhafteste Schmerz herrschte in ihrem Gesichte; tiefe,[75] halb unterdrückte Seufzer schwellten ihre Brust empor. Einmal sah ich eine Thräne in ihren Augen, die sie schnell verbarg. O, theure, kostbare Thräne! wem warst du geweiht? Wärest du mir und der Liebe geflossen, willig wollte ich mein Leben hingeben. Hätte ich mich doch zu ihren Füßen hinwerfen können, um nach der Ursache ihres Kummers zu fragen! Hätte sie dann mich nur eines solchen Blicks gewürdigt, wie der war, den sie beym Aussteigen aus dem Wagen mir gab, als wir von Mayberg zurückkehrten! Glücklichster Tag meines Lebens, noch entzückt mich dein Andenken! Aber nein, ihre Blicke waren nur selten auf mich gerichtet, und dann oft kummervoll, oft auch unwillig. Beym Nachhausegehen schlug sie meine Begleitung ab. O Wilhelm, wie kränkte mich das im Innern! Kaum konnte ich von meinem Wirth Abschied nehmen. Sophie, theures geliebtes Mädchen, womit beleidigte ich dich, oder[76] was ist dein Kummer? Ha, was fällt mir ein? Sollte ein Nebenbuhler – Entsetzlicher Gedanke! daß du in der tiefsten Hölle wärst! – Sophie, das Eigenthum eines andern? Ich muß hin zu ihr, ich muß mein Schicksal erfahren. O wäre doch der Morgen erst da! –


Den andern Morgen.


Ich wollte schlafen, aber der Schlaf floh mich. Sophie stand immer vor meiner Einbildungskraft. Und dann dachte ich wieder an deinen Brief, an Julien. – Aber was soll mir Julie? Sinds nicht zwey Jahre, daß ich nichts von ihr hörte? ließ sie nicht zwey Briefe unbeantwortet? reiste ich nicht selbst nach D.? Erfuhr ich wohl etwas von ihr? Hätte sie mir nicht einmal schreiben müssen, wenn sie mich noch liebte? Gewiß ist sie längst das Eigenthum eines andern, und ich Thor sollte um sie mein Glück, Sophien, verscherzen? Nein, das wäre wahnsinnig[77] gehandelt. Ich habe mehr gethan, als sie hätte fordern können; ich habe genug gekämpft; ist es meine Schuld, daß eine innre Macht mich unwiderstehlich nach Sophien zieht? Soll eine jugendliche Neigung mich auf ewig zum Märtyrer machen? Mich von dem herrlichsten Geschöpf zeitlebens trennen? Nein, Wilhelm, das ist zu viel gefordert. Es ist wahr, ich liebte Julien, aber sie ist selbst Schuld an unsrer Trennung. Liebte sie mich noch, und hätte sie mir nur einmal geschrieben, gewiß, Freund, dann würde ich ihr treu bleiben, wenn auch dieses Herz noch so sehr widerstrebte. Aber gewiß bin ich ihr gleichgültig. Ich muß hin zu Sophien, mein ganzes Herz ihr entdecken, und Tod oder Leben von ihren Lippen empfangen.


Fortsetzung.

O Wilhelm, kann ich die Fülle der Wonne tragen? erliege ich nicht bey dem schnellen Wechsel?[78] Vom tiefsten Kummer so schnell auf der höchsten Stufe des Glücks zu stehen! Sie ist mein. – Sophie mein – – sie liebt mich. Es ist kein Traum, es ist Wahrheit, diese Lippen berührten sie, dieser Arm umschlang sie. Ich fühlte das edelste Herz fest am meinigen schlagen; nun hat beyde ein ewiges Bündniß vereinigt, und keine Macht der Erde soll sie aus meinen Armen reißen. O Gott, wenn ich mir den Engel denke, wie sie bebend an meine Brust sank, wie die reinsten Thränen der Liebe in ihren Augen glänzten, wie ich, trunken von Wonne, sie umarmt hielt. Du Theure, Innigstgeliebte! jeder meiner Blutstropfen wallt nur dir; jede Ader hüpft vor Entzücken. Ich fühle mich über mich selbst, über Welt und alles erhaben, in eine höhere Sphäre hinaufgerückt. O Geliebte, mein ganzes künftiges Leben sey nur ein Bestreben, dich glücklich, mich deiner werth zu machen! Und nun bitte ich dich,[79] Wilhelm, komm mir nicht mit kalter Moral, mit keinen Sentenzen, und verbittre mein Glück mir nicht. – –

Karlsheim.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 74-80.
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