Dreyzehnter Brief

Sophie an Marien

[80] Ich glaube wirklich, ich bin schwindlich von allem, was sich mit mir zugetragen hat. Ich muß nur einmal an meinen Kopf greifen, um zu sehen, ob er noch auf seiner rechten Stelle steht.

Ja, er steht zwar noch, aber es sieht so konfus darinn aus, daß es mir schwer werden wird, Ihnen eine umständliche Erzählung von allem zu geben; doch ich will mich dazu zwingen, so schwer es mir auch werden wird.

Voller Unruhe brachte ich die vorige Nacht hin. Sonst schloß der Schlaf meine Augen, sobald[80] ich mich niederlegte; aber diese Nacht war schlaflos. Abgemattet vom Weinen, stand ich auf. Kaum war ich angekleidet, war nach dem Morgengruß von meinem Onkel wieder auf mein Zimmer geeilt, als Karlsheim herein trat. Ich erschrack, und verfärbte mich. Er bemerkte es:

»Verzeihen Sie, Mademoiselle, sagte er mit sehr ehrerbietiger Miene, daß ich es wage, Sie vielleicht zur Unzeit zu belästigen. Ich sah gestern Kummer in ihren Augen; und ob ich gleich kein Recht habe mich nach der Ursache zu erkundigen, so interessirt mich doch alles, was sie angeht, viel zu sehr, als daß ich unbekümmert dabey bleiben könnte. Auch glaubte ich, Zeichen des Unwillens gegen mich bey Ihnen zu sehen. Erlauben Sie mir, theuerste Mademoiselle, Sie zu fragen, wodurch ich das Unglück gehabt habe, Sie zu beleidigen?«[81]

Ich mußte die äußerste Mühe anwenden, mich zu fassen, und mit gleichgültigem Ton zu sagen:

»Sie haben sich in Ihren Vermuthungen gewiß geirrt, Herr Karlsheim. Ich wüßte gar nicht, wodurch Sie mich könnten beleidigt haben, und übrigens dächte ich, der Kummer jedes andern Frauenzimmers müßte dem Geliebten von Louise Dalberg gleichgültig seyn.«

»Louise Dalberg, die ich kaum ein paar male gesprochen habe? Glauben Sie, Mademoiselle, es thut weh, sich so verspottet zu sehen.«

»Ich sehe nicht ein, warum Sie eine Verbindung läugnen wollen, von der man allenthalben ganz laut spricht. Man hat sogar den Verlobungstag mir gesagt. Und Louise ist wirklich ein Mädchen, das gewiß – das vortreffliche Eigenschaften besitzt. – –«

»Und wenn sie deren noch mehr besäße, mir ist sie sehr gleichgültig, und ich müsse gleich hier vor ihren Augen vernichtet werden, wenn[82] je ein Gedanke an sie in meine Seele kam. Aber ach! es giebt ein Frauenzimmer, die mit unumschränkter Macht in meinem Herzen herrscht, die ich aufs innigste verehre, die ich auch dann noch lieben werde, wenn schon meine brechenden Augen sich schließen. Wenn meine Zunge schon stammelt, werde ich noch ihren theuren Namen nennen, den die Liebe mit der stärksten Macht in mein Herz grub. – O wenn ich es wagen dürfte, sie Ihnen zu nennen! – Theuerste, läßt mich dieses Erröthen hoffen, daß ich Ihnen nicht ganz verhaßt bin? O reden Sie ein Wort.«

»Karlsheim – sagte ich mit einer Bewegung, über die ich nicht mehr Herr war – Sie mir verhaßt? – Es gelang mir, mich wieder zu fassen – Ihr bisheriges Betragen zeigte wohl, daß Sie unser Haus mieden, und ließ eben nicht vermuthen – –«[83]

»Endigen Sie Ihre Rede nicht; ich weiß, was Sie sagen wollen. Ja, Theuerste, ich kämpfte mit meiner Leidenschaft, ich wollte die Gelegenheit fliehen, den brennenden Funken noch stärker anzufachen, aber vergebens; diese Neigung saß zu tief in meiner Seele, als daß irgend etwas auf der Welt fähig wäre, sie auszurotten. Ewig wird sie in meinem Herzen wohnen; auch dann noch, wenn Sie mit Ihrem Haß meine Verwägenheit strafen, auch dann noch wird der unglückliche, von Ihnen verbannte Karlsheim Sie zeitlebens verehren.«

Er faßte meine Hand, ich war zu sehr gerührt, um sie wegzuziehen. Mit dem Ton der stärksten Leidenschaft sagte er:

»Sophie

»Karlsheim

»Gott! ist es möglich, bin ich der Seligkeit werth?«[84]

Und nun fühlte ich zum erstenmal, da unsre Lippen sich begegneten, was der Kuß der reinen Liebe ist. O Marie, ich hätte nie geglaubt, daß mein leichtsinniges Herz solcher Empfindungen fähig wäre. – Eine Stunde war uns wie ein Augenblick entflohen, als mein Onkel herein trat. Er sah uns befremdet an.

»So? Das ist also das Hinderniß, das Sternfelden im Wege stand?«

Ich sprang auf, seine Hand zu küssen; Karlsheim that ein Gleiches. Unsre Blicke redeten mehr als unsre Worte. Gerührt gab uns der würdige Alte seinen Segen. Und nun, Marie, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, daß – ich morgen nicht zu Ihnen kommen werde.

Sophie.[85]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 80-86.
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