Vierzehnter Brief

Ferdinand an Eduard

[86] Vielen Dank für deinen Brief, lieber Freund. Ich habe ihn mit Vergnügen gelesen. Die Ermahnungen, die darinn waren, hätten freylich wohl weg bleiben können. Auch deine Abschilderung des akademischen Lebens scheint mir etwas übertrieben zu seyn. Ich habe zwar noch wenig Studenten hier kennen gelernt, aber die wenigen gefielen mir recht wohl, und schienen brave Kerle zu seyn. Es herrscht freylich kein pedantischer Ton unter ihnen; sie sind lustig und geniren sich um niemand, und das gefällt mir sehr. Ich habe die Schulfüchse mein Tage nicht ausstehen können. Einer von diesen Studenten heißt Klinge. Ich habe ihn recht liebgewonnen; er scheint auch in großem Ansehen unter seinen Bekannten zu stehen, und ist Senior der Landsmannschaft. Heute sagte er zu mir:[86] Man kann ein ehrlicher Kerl seyn, und was Rechts lernen, ohne darum immer hinter den Büchern zu liegen. Die Leute, die den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen, in alle Kollegia laufen, und sich eine Todsünde draus machen, einmal zu schwänzen, haben gewöhnlich keinen Kopf, und bringen es auch zu nichts. Wer Genie hat, kann in einer Stunde mehr lernen, als ein solcher in zwey Tagen. Das viele Studieren machts nicht aus. In unsern Jahren muß man des Lebens genießen und lustig seyn. Im Alter hat man Zeit genug, zu murren und hinter dem Ofen zu sitzen.

Mich dünkt, daß Klinge hierinn ganz recht hat. Es ist nur Schade, daß sein Vater, ein alter Filz, ihn so genau hält. Dem Himmel sey Dank, daß ich Geld genug habe, um einen ehrlichen Kerl zu unterstützen. Mein Vater ist nicht karg, und hat mir eine ansehnliche Summe ausgesetzt, die ich für mich allein nicht verbrauchen[87] werde. Meine drey Jahre sollen mir hier recht gut verfließen, und ich denke sie auch nützlich anzuwenden. Ich werde meine Kollegia fleissig besuchen, und auch zu Hause arbeiten. Die Zeit, die mir dann übrig bleibt, sey dem Vergnügen gewidmet.

Ich wollte, du wärst auch hier, Eduard. Ich denke noch oft an die frohe Zeit, da wir als Knaben zusammen spielten, und, unsers ungleichen Alters ohngeachtet, immer fest zusammen hielten. Auch jetzt noch wollte ich willig Blut und Leben für dich lassen, liebster Bruder, das glaube mir. Du wärst mir aber doch noch einmal so viel werth, wenn du die zärtlichen Schäferideen ablegtest, und den Gedanken an deine unsichtbare Prinzessinn fahren ließest. Beym Henker, wäre ich mit einem so reizenden Mädchen in einem Hause, so wollte ich die Zeit besser nutzen, ohne sie mit Winseln über eine entfernte Schöne zu verderben, die in drey Jahren nichts von sich[88] hören ließ. Siehst du, daß ich auch moralisiren kann? – –

Dein treuer

Ferdinand.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 86-89.
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