Funfzehenter Brief

Eduard an Ferdinand

[89] Es befremdet mich gar nicht, lieber Ferdinand, dich über meine Lage spotten zu hören. Ich glaube wohl, daß es nur wenige Menschen giebt, denen meine standhafte Neigung gegen Marien nicht übertrieben scheinen wird. Ich fühle aber, daß ich so handeln muß, wenn ich mich vor künftigen Vorwürfen sichern will.

Denke dir einmal, wenn ich meine Marie, und alle heiligen Betheurungen der Liebe, die ich ihr gab, vergäße, wenn ich einer andern das Herz schenkte, das sonst bloß Liebe zu ihr athmete, und ich fände sie dann noch treu, noch zärtlich[89] gegen mich: Gott, wie elend wäre ich dann! Und ich weiß gewiß, daß sie mich noch liebt, noch eben so mit ganzer Seele an mir hängt, wie ehedem. Ihr Herz gehört nicht unter die wankelmüthigen, und wie liebten wir uns nicht!

Ja, Marie, theuerster Abgott meiner Seele, meine Ahndung täuscht mich nicht, ich finde dich wieder, so treu, so zärtlich, wie du am Tage des Abschieds es warst. Nie werde ich es vergessen, wie sie da weinend an meinem Halse hieng, wie ich noch in weiter Entfernung ihre weiße Gestalt sah, immer noch ihre sanfte Stimme zu hören glaubte. Und da ich nun zum letztenmal das Land betrachtete, das meine liebsten Wünsche in sich schloß, da glaubte ich zu vergehen; es war mir als würde ich von der ganzen Welt getrennt; ich sank in eine Betäubung, aus der ich erst nach einigen Stunden erwachte, und so war mirs die ganze Reise durch.[90]

Hier zerstreuten mich zwar Geschäfte, aber keine Geschäfte sind fähig, das Andenken an die lebhaften Freuden in mir auszulöschen, die ich mit Marien genoß. Daß ich auf fünf Briefe, die ich ihr schrieb, keine Antwort erhielt, schmerzt mich freylich; aber ich bin gewiß, daß besondere Zufälle diese Briefe unrecht geführt, oder daß Hindernisse, ihr unübersteiglich, ihre Antworten gehindert haben. Denn Marie kann gewiß nie mir untreu werden, nie mich vergessen. Dazu war unsre Liebe zu fest geknüpft.

Ich wünschte aber doch bald aus dieser quaalvollen Ungewißheit zu kommen, und auch noch andre Ursachen, als meine heiße Sehnsucht nach ihr, machen meine Entfernung nothwendig. Karoline ist wirklich ein gefährliches Geschöpf. Denke dir ein Mädchen von sechzehn Jahren, deren Reize eben sich entfalten, die ein vortreffliches Herz hat, einen guten Verstand, der freylich noch nicht ganz ausgebildet ist, eine Unschuld,[91] die selbst dem verworfensten Bösewicht heilig seyn würde, mit der liebenswürdigsten Naivität vereinigt, die mir täglich Beweise einer reinen unschuldsvollen Zuneigung giebt, und dann urtheile selbst, ob da nicht zuweilen strenge Zurückhaltung schwer wird. Und diese muß ich doch aufs gewissenhafteste beobachten, wenn ich nicht die Ruhe eines liebenswürdigen Mädchens untergraben will.

Karoline hat ein sehr gefühlvolles Herz. Sie lebte in steter Entfernung von Mannspersonen mit ihrer Mutter auf dem Lande, bis nach deren Tode ihr Onkel sie zu sich nahm. Zwar habe ich, Gott sey mein Zeuge, ihr immer mit der Zurückhaltung begegnet, die man, bey einem verschenkten Herzen, jedem jungen Frauenzimmer schuldig ist. Aber demohngeachtet ist es doch bey ihren Jahren natürlich, daß ein junger Mann, dessen Denkungsart sie mit der ihrigen übereinstimmend fühlte, mit dem sie stets bey Tische und[92] auch sonst oft beysammen seyn muß, Eindruck auf sie macht. Ich werde es mir aber von nun an zur Pflicht machen, ihre Gesellschaft, so viel möglich, zu meiden. Es wird mir schwer werden, denn nach Marien ist Karoline das reizendste Geschöpf, das ich kenne. Aber der Gedanke an die Gebieterinn meines Herzens, an alles, was sie für mich duldete, da ihr Vater sich unsrer Liebe widersetzte, wird mir den Sieg leicht machen.

Du hast meine Ermahnungen, wie du das zu nennen beliebst, unrecht verstanden, lieber Ferdinand. Genieße die Freuden deiner Jugend, so viel du kannst, aber vergiß dabey nicht den Zweck, um dessen willen du nach G. reistest. Das Vergnügen muß auf der Akademie nur Nebensache seyn, und unsre Hauptabsicht muß immer nur dahin gehen, die Kenntnisse für den Geist einzusammeln, die uns so nothwendig sind,[93] wenn wir einst brauchbare Glieder des Staats werden wollen.

Das, was dein Freund Klinge davon sagt, scheint mir nicht so ganz richtig zu seyn. Man braucht, um gelehrt zu werden, freylich nicht den ganzen Tag hinter den Büchern zu liegen, aber ohne anhaltenden Fleiß und Uebung ist es nicht möglich, gründliche Kenntnisse in irgend etwas zu erlangen. Zum Studieren müssen wir alle unsre Seelenkräfte beysammen haben, und das ist nicht möglich, wenn man nur dann und wann eine Stunde arbeitet, und sich oft durch allerley Lustbarkeiten zerstreuet. Die Arbeiten des Geistes sind nicht von der Art, daß man dabey den Faden so oft abreißen und wiederum anknüpfen kann, als man will. Und deswegen, ich wiederhole es noch einmal, müssen wir die Vergnügungen durchaus nicht anders als in Nebenstunden suchen. Auch noch in anderm Betracht hat dieses großen Nutzen. Ein mäßiger Genuß[94] der Freuden des Lebens hat die beste Wirkung auf Leib und Seele; aber ein übertriebner Gebrauch macht uns vor der Zeit stumpf und unfähig im männlichen Alter noch Theil an den Vergnügungen zu nehmen.

Noch eine Erinnerung wirst du mir verzeihen, bester Ferdinand. Suche so viel als möglich zu verbergen, daß du vieles Geld zu verzehren hast. Es giebt auf Universitäten hauptsächlich der Leute so viel, die nicht Geld genug haben, um alle die Ausschweifungen mitzumachen, zu denen sie oft großen Hang fühlen, und die dann, in Burschenränken eingeweiht, unter allerley Vorwand sich der Wechsel anderer, besonders der Neulinge, zu bedienen suchen. Ich weiß, liebster Freund, daß dein gutes Herz oft deiner Ueberlegung vorspringt; aber bemühe dich ja, vorsichtig in der Anwendung deiner Wohlthaten zu seyn. Es giebt der Unglücklichen genug, die gerechte Ansprüche auf unsre Mildthätigkeit haben,[95] und an diesen begehen wir einen Raub, wenn wir gegen Unwürdige freygebig sind.

Du schreibst mir ja nichts von unserm Barthold. Du setzest doch noch die Freundschaft mit ihm fort, die ihr auf der Schule hattet? Er ist ein trefflicher Jüngling, mit dem du manche angenehme Stunde zubringen kannst, und dessen Erfahrung, da er schon so lange in G. ist, dir in manchen Sachen nützlich seyn wird.

Ich hoffe, liebster Ferdinand, daß du diese kleinen Erinnerungen aus keinem falschen Gesichtspunkt ansehen wirst. Sie fließen aus einem dich liebenden Herzen, das die Beschaffenheit des akademischen Lebens aus eigner Erfahrung kennt. Lebe recht wohl, Lieber, und schreibe mir bald wieder.

Eduard.[96]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 89-97.
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