Sechzehnter Brief

Ferdinand an Eduard

[97] Es hat mir sehr weh gethan, aus den letzten Stellen deines Briefs zu sehen, daß du eine schlechte Meynung von Klingen zu haben scheinst. Ich merke wohl, daß du auf ihn zielst, wenn du ihn gleich nicht nennst. Aber gewiß, du irrst dich sehr. Er ist der bravste, uneigennützigste Kerl von der Welt, der mir viel Freundschaft und Gefälligkeit erzeigt.

Vergangnen Sonntag nahm er mich mit in einen Garten, wo großer Burschenkommerz war. Es wurde tüchtig gepunscht. – Es ist hier so gewöhnlich, daß der Jüngste, mit dem die andern zum erstenmal Brüderschaft trinken, die Zeche bezahlt. Dieß fiel dann auf mich, und du kannst denken, daß ich mich nicht lumpen ließ. – Man sang den Landesvater, und jeder ließ sein Mädchen hoch leben, und verlachte[97] mich, daß ich hier noch keins hatte. Es wurde dann auch Pharao gespielt. Ich wollte anfangs nicht dran, weil ich mich wohl erinnere, daß ich sonst deiner Meynung von solchen Spielen vollkommen Beyfall gab; aber es versicherten mich alle, daß hier in Burschengesellschaften immer gespielt würde. Und Klinge zog mich beyseite, und sagte mir: man hätte mir eine besondre Ehre gethan, daß man schon Brüderschaft mit mir getrunken, da ich doch noch ein Fuchs sey; das pflegte sonst nie zu geschehen. Er bäte mich also, ich möchte mich doch durch solche Weigerungen, die noch gar zu sehr nach der Schule röchen, nicht lächerlich machen. – Ich spielte und verlor funfzehn Louisd'or.

Aber die andern versicherten mich, daß das beym Anfang im Spielen ein sehr gewöhnlicher Verlust sey, und daß man eine solche Summe das künftigemal oft doppelt wieder gewönne.[98]

Beym Anbruch des Morgens trennten wir uns. Ich verschlief nun freylich dießmal meine Kollegia, aber das werde ich leicht wieder einholen. Klinge hat mir auch gerathen, meine Stunden des Nachmittags aufzugeben, weil ich mich sonst im ersten halben Jahre zu sehr überhäufen würde.

Du riethest mir doch einmal, Familienbekanntschaft hier zu suchen, und empfohlst mich an Professor T. Aber dahin zu gehen, ist mir unmöglich. Es ist da ein gewaltig steifer Umgang, sagt mir Klinge. Er wolle mich dafür in einem andern Hause einführen, wo man sehr artig und ungezwungen wäre, und das ist mir gerade recht; denn das infame Complimentiren und Ceremonienmachen ist gar meine Sache nicht. Eben darum gefällt mirs in unsern Gesellschaften so wohl, weil man sich da gar nicht genirt. Adieu, Eduard. Ich werde dir nächstens[99] etwas von meinem Besuch in dem eben erwähnten Hause melden.

Ferdinand.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 97-100.
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