Siebenzehnter Brief

Eduard an Ferdinand

[100] In einer so heitern Stimmung, wie sie mir in meiner Lage nur möglich ist, schreibe ich dir heute, liebster Ferdinand.

Ich gieng gestern auf einem Spazierwege, den ich deswegen sehr liebe, weil seine Einsamkeit mir Freyheit läßt, meinen Träumereyen ungestört nachzuhängen. Meine Seele hatte sich nach dem schönen heitern Abend gestimmt; und in süßen Gedanken an meine Marie vertieft, kehrte ich wieder heim. Ich sah im Mondenschimmer zwey Gestalten, Arm in Arm gelegt, in stummen Tiefsinn versenkt, neben einander stehen. Von ihnen unbemerkt, gieng ich näher,[100] und hörte nun den sanftklagenden Ton einer weiblichen Stimme:

»Nein, Jakob, du sollst um mich dein Glück nicht verscherzen. O Gott, aus uns kann ja doch nun nie ein Paar werden. Nimm die Bedienung an, so bist du doch wenigstens vor Mangel geschützt.«

»Wie kannst du mir nur einen solchen Antrag thun? Dich sollte ich verlassen, Kathrine, dich, der ich immer so gut war, jetzt, da du schwanger von mir bist? Nimmermehr!«

Nun fieng Kathrine jämmerlich an zu weinen, und ihr Jakob klagte mit ihr. Ich wurde bewegt, und zugleich neugierig ihre Geschichte zu hören. Ich redete sie also an, bezeugte ihnen mein Theilnehmen, und bat sie, mich näher von ihrem Zustande zu unterrichten; vielleicht könnte ich ihnen Hülfe leisten. Es kostete zwar im Anfang etwas Mühe, ihr Vertrauen zu gewinnen, aber sie fühlten doch bald, daß ich aus dem Herzen[101] zu ihnen redete, und vertrauten mir ihren Kummer an. Kathrine ist die Tochter eines Pachters, und schon in ihrer Kindheit waren sie und Jakob, des Schulmeisters Sohn, einander gut gewesen. Ihre Liebe wuchs mit ihren zunehmenden Jahren, und beyde schmeichelten sich mit einer baldigen Verbindung, als der Schulmeister starb, und er, den man immer für reich gehalten hatte, kaum so viel hinterließ, als die Beerdigungskosten betrugen. Dieser Vorfall machte auf Kathrinens Vater einen starken Eindruck, und er wollte nun durchaus nicht zugeben, daß seine Tochter einen Mann ohne Vermögen heyrathete. Sie war ein hübsches Mädchen, und hatte schon manchen guten Antrag um Jakobs willen ausgeschlagen, weswegen sie nun tausend harte Vorwürfe von ihrem Vater anhören mußte. Sie entdeckte ihrem Geliebten ihren Kummer, und dieser besänftigte den Alten dadurch, daß er ihm sagte, der Amtmann des[102] Dorfs habe seinem Vater oftmals die Versichrung gegeben, daß er den sehr einträglichen Schulzendienst, mit dem auch noch die Stelle eines Einnehmers verknüpft war, sobald er vakant würde, bekommen sollte. Der junge Mensch hatte sich auch aus diesem Grunde vorzüglich auf Schreiben und Rechnen gelegt, und hatte sich durch Geschicklichkeit, Redlichkeit, und das allgemeine Zeugniß einer guten Aufführung, dieses Dienstes vollkommen werth gemacht. Der alte Schulze, schon seit einigen Jahren schwächlich, starb, und Jakob säumte nicht, sich bey dem Amtmann zu melden. Er wurde sehr höflich empfangen, erhielt die beste Hoffnung, und sein Gönner, der eben einige Leute bey sich hatte, sagte ihm, als er weggieng, er möchte doch den andern Tag wiederkommen, weil noch einiges zu verabreden wäre. Voller Freuden eilte Jakob zu seinem Mädchen, und diese eröffnete ihm, was sie bis jetzt sich zu sagen geschämt hatte, daß[103] sie die Frucht ihrer Vertraulichkeit an einem Abend einer ländlichen Lustbarkeit, wo er vom Wein, und sie von Tanz und Liebe berauscht war, unter ihrem Herzen trüge. Diese Nachricht erhöhte seine Freude noch mehr, und kaum konnte er den andern Morgen erwarten, von dem er die völlige Versichrung seines Glücks erwartete.

Zehnmal griff er nach seinem Hut, und eben so oft hieng er ihn wieder hin, weil es ihm noch zu früh dünkte, zum Amtmann zu gehen. Endlich machte er sich auf. Mit dem freundlichsten Gesicht empfieng ihn der Amtmann, der eben sein Morgenpfeifchen rauchte. Nach einigen gleichgültigen Gesprächen kam er auf das rechte Kapitel:

»Es wäre doch gut, Jakob, wenn er nun bey seinem Dienste auch auf eine junge Frau bedacht wäre. Mit einem jungen Manne will es doch immer so nicht recht fort, so lange[104] er unverheyrathet ist. Meynt er das nicht auch?«

»O ja, da haben Sie vollkommen Recht, Herr Amtmann. Ich bin auch gar nicht abgeneigt. Ich – habe – auch – –«

»Er hat das auch schon gedacht, nicht wahr? Ja und da wüßte ich ihm im ganzen Dorfe keine bessere Person vorzuschlagen, als meine Köchinn. Sie ist ein hübsches Mädchen, versteht eine gute Haushaltung zu führen, und – lächelnd – sie wird auch, weil sie mir treu gedient hat, ein arriges Heyrathsgut von mir erhalten. – –«

Er hielt seiner Köchinn – die schon seit einigen Jahren seine bekannte Hure war – noch eine lange Lobrede, von der aber der arme Jakob kein Wort hörte, so ganz war er von Schrecken betäubt. Er dachte zwar daran, ob er zum Schein thun wolle, als willige er in den Vorschlag, aber sein redliches Herz verabscheute[105] diese Falschheit. Er sagte also zwar blaß und zitternd, aber doch mit Standhaftigkeit, dem Amtmann seine Liebe zu Kathrinen, und erklärte, daß er nie eine andre nehmen könnte. Nach einigen fruchtlosen Vorstellungen, sagte ihm dieser mit höchst zornigem Gesicht und gebietrischem Ton, wenn er sich weigerte, die Köchinn zu heyrathen, so sey gar nicht daran zu denken, daß er den Dienst erhielte; es würde sich schon ein andrer finden, der mit Freuden diese Bedingung annehmen werde. Und nun wies er ihm auf eine höchst grobe Art die Thür. Kathrine stieß einen lauten Schrey aus, als Jakob, blaß wie eine Leiche, ins Zimmer trat. Der alte Pachter schimpfte zwar sehr auf den niederträchtigen Amtmann, verbot aber den jungen Leuten, unter vielen Drohungen, nie wieder an einander zu denken. Aus Furcht vor seiner Härte wagte es seine Tochter nicht, ihm ihren Zustand zu entdecken.[106]

Verzweifelnd gieng Jakob fort, und Kathrine verabredete noch heimlich eine letzte Zusammenkunft mit ihm auf den Abend, und eben hier traf ich sie an.

Von ihrer Erzählung durchdrungen, verließ ich sie, und gab ihnen tröstende Versichrungen. Der Geheimde Rath war noch nebst Karolinen auf seinem Zimmer. Ich erzählte mit vieler Wärme die Geschichte. Karolinens Thränen flossen dem Schicksal des armen Paars. Auch ihr würdiger Onkel, dem jede Ungerechtigkeit ein Greuel ist, nahm lebhaften Antheil daran. Er gab mir den Auftrag, genauere Erkundigung einzuziehen, ob auch alle Umstände sich so verhielten. Ich brachte ihm den andern Morgen unbescholtne Zeugen, welche die Wahrheit von Jakobs Aussage bekräftigten, und so wohl ihm als Kathrinen die besten Zeugnisse gaben. Und nun schrieb der vortreffliche Mann einen eigenhändigen Brief an den Amtmann, der gewissermaßen[107] unter seiner Gerichtsbarkeit steht, und verwies ihm sein Betragen in der Sache sehr ernsthaft.

Dieses hatte denn die Wirkung, daß der gestrenge Herr Amtmann selbst erschien, sich aufs beste entschuldigte, und den Geheimden Rath inständigst bat, die Sache nicht weiter zu treiben. Der G. R. versprach dieß, aber unter den Bedingungen: erstlich, daß Jakob den Dienst erhielte; zweytens, daß ihm der Amtmann nicht durch allerley Kränkungen in seinem Aemtchen sein Leben verbittre; drittens, daß er ihm die hundert Reichsthaler Heyrathsgut gäbe, die er ihm mit der Köchinn versprochen habe.

Diese Bedingungen, besonders die letzte, giengen ihm zwar schwer ein, aber er mußte sich doch dazu verstehen, um größern Ungelegenheiten auszuweichen.

Der Pachter, Jakob und Kathrine wurden nun geholt. Aber diese Scene, die Freude der[108] Liebenden und die Verwundrung des Alten, ist unbeschreiblich. In acht Tagen wird die Hochzeit seyn, und zwar auf unserm Gute. Karoline ordnet alles hierzu mit liebenswürdiger Geschäftigkeit an.

Ich hätte dir wohl manches auf deinen Brief zu sagen, liebster Ferdinand. Aber im Grunde kannst du dieß alles finden, wenn du den Schluß meines vorigen Schreibens noch einmal aufmerksam durchlesen willst. Ich sage dir also heute nichts mehr, als das, wovon du gewiß schon lange überzeugt bist: daß mir dein Wohl so nahe am Herzen liegt, wie mein eignes, daß ich wünschte, den Mann aus dir werden zu sehen, der du nach deinen Fähigkeiten werden kannst, wenn du dir ihre Ausbildung sorgfältig angelegen seyn läßt, und daß ich endlich nie aufhören werde zu seyn

Dein eifrigster Freund,

Eduard.[109]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 100-110.
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