Achtzehnter Brief

Ferdinand an Eduard

[110] Bey meiner Treu, Eduard, du bist ein braver Kerl. Deine Geschichte, die du da schreibst, gefällt mir sehr. Ich möchte gleich aus der Haut fahren, wenn ich solche Niederträchtigkeit sehe. Ich wollte nur, daß der Schurke, der Amtmann, stärker bestraft wäre. Warte, du Bube, ich wollte dich anders haben tanzen lassen! Zwar mögen ihm die hundert Thaler wohl genug an der Seele gedrückt haben, aber die Strafe bleibt doch immer noch zu klein.

Nimm mirs nicht übel, Eduard, ich erinnere mich eben nicht, im Schluß deines vorletzten Briefs etwas besonders Anziehendes gelesen zu haben, und, ihn noch einmal durchzulesen, habe ich unmöglich Zeit. Sogar mit dem Studieren wills nicht recht mehr fort, seitdem ich das Wettermädchen gesehen habe. Ich nehme[110] wohl ein Buch in die Hand, aber gleich schmeiße ich es wieder fort, um wenigstens vor ihrem Hause vorbey zu gehen, wenn ich nicht hinein gehen darf. Mein Seel, es ist auch ein nettes Mädchen, viel angenehmer als weiland Lotte, unsers Rektors Tochter, der wir alle sonst so vielen Weihrauch streuten. Doch ich muß dirs wohl vom Anfang an erzählen.

Klinge holte mich, seinem Versprechen gemäß, ab, um mich in dem Hause der verwittweten Räthinn B. einzuführen. Wir fanden sie nähend an einem Tische sitzen; ein ungemein hübsches Mädchen saß auch da, und half ihr. Wir wurden sehr freundlich empfangen, und Klinge, der ein Vetter von Hause ist, unterhielt die Alte von Familiensachen. Während dessen sprach ich mit der Tochter. Ein dralles Mädchen von achtzehn Jahren. Recht schön, und so munter, daß es eine Freude ist, mit ihr umzugehen. Und dabey[111] soll sie sehr sittsam seyn, wie mir Klinge sagt, und wie ich aus ihren Reden schloß.

Wir blieben den Abend da. Es kam noch mehr Gesellschaft von jungen Leuten, auch noch ein paar Frauenzimmer, gegen Henrietten zwar Fratzengesichter, aber doch ganz umgänglich. Wir spielten Pfänder und waren sehr lustig. Beym Abschiede drückte mir Henriette die Hand, und bat mich, bald wieder zu kommen. Klinge sagt mir, sie hätte schon sehr viele Anbeter gehabt, aber noch keiner von allen hätte Eindruck auf sie machen können. Den andern Morgen gieng ich hin, und fragte, wie sie geschlafen hätte. Das Mädchen sah in ihrem Morgenzeuge allerliebst aus. Ich gestehe es, sie hat mich ganz bezaubert. Auch scheine ich ihr eben nicht verhaßt zu seyn. Sie sieht so freundlich aus, wenn ich komme. –

»Wollen Sie schon weg? sagte sie heute, als ich bereits eine Stunde da gewesen war.«[112]

»Ich muß in die Institutiones.«

»Ach was wollen Sie mit dem trocknen Zeuge, das hören Sie sich doch noch satt. Bleiben Sie immer noch ein Stündchen hier.«

Ein freundlicher Blick von ihr, und ich blieb. Das wirst du, zärtlicher Schäfer, mir doch gewiß vergeben? – –

Ferdinand.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 110-113.
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