Neunzehnter Brief

Eduard an Ferdinand

[113] Bester Ferdinand! Wenn noch die Bitten eines Freundes, der dich aufs zärtlichste liebt, etwas über dich vermögen, wenn du noch kindliche Empfindungen gegen deinen alten Vater hegst, der seine ganze Hoffnung auf dich gründet, der gewiß stündlich, für dein Wohl besorgt, zu Gott betet, o so flieh Klingen, seine Bekannten und Henrietten!

[113] Klinge ist gewiß ein ausgelernter Bösewicht, der dich so unschuldsvollen guten Jungen zu verderben sucht. Dein Herz, gut und bieder, glaubt, daß andre Menschen auch so sind, und hat keinen Begriff von den Ränken andrer, da List und Bosheit von dir fern ist. Siehst du denn nicht, betrogner Freund, daß Henriette eine verschmitzte Buhlerinn ist, in deren Netze man dich zu fangen sucht? daß ihre Sittsamkeit bloße Affektation ist? – –

Geh einmal ihr Betragen unpartheyisch durch, und sage dann selbst, ob es mit der Sittsamkeit eines Mädchens besteht, einem jungen Menschen, den sie zum erstenmal sieht, die Hand zu drücken, und ihn zum öftern Wiederkommen zu nöthigen; beym zweyten Besuch ihn zum längern Bleiben zu bereden, sollte er auch ein Kollegium drüber versäumen? Bey einem unerfahrnen jungen Mädchen ließe sich das noch entschuldigen; aber so unerfahren ist ein Frauenzimmer auf einer[114] Universität nicht, die öftern Umgang mit Studenten hat. Es ist gewiß Klingens Absicht, dich durch diese Bekanntschaft, und durch allerley andre Zerstreuungen, vom Studieren abzuziehen, und dich so fest an sich zu ketten, daß er mit unumschränkter Macht über deinen Geldbeutel herrschen kann.

Ich bitte dich, bester Ferdinand, reiß dich von dieser Gesellschaft los, und halte dich zu dem braven Barthold. Ich weiß, daß du beym Lesen dieses Briefes aufbrausen wirst; aber lies ihn noch einmal durch, und denke, daß dein treuer Freund ihn schrieb, der selbst von den Verführungen des Studentenlebens noch nicht gar lange entfernt gewesen ist, und der die jungen Herren aus mehrjähriger Erfahrung besser kennt, als du. Denke zurück, Ferdinand, an die glücklichen Zeiten unsrer Kindheit, an meine Liebe zu dir in diesen Jahren; wie ich oft willig die Schuld deines Versehens über mich nahm,[115] um dich vor der Strafe zu schützen; wie wir so ganz unzertrennlich waren; wie dem einen immer etwas zu fehlen schien, wenn er den andern nicht hatte: und dann urtheile selbst, ob etwas anders, als innige Liebe zu dir, meine Feder führen kann.

Mein Zustand wird von Tage zu Tage ängstlicher. Du weißt, daß es mein fester Vorsatz war, Karolinen zu vermeiden. Ich befolgte ihn treulich. Vor einigen Tagen war ich des Morgens in dem Garten. Karoline kam bald nach mir auch. Mit dem rührendsten Ton der Unschuld beklagte sie sich, daß ich ja fast gar nicht mehr hieher käme, und ihre Gesellschaft zu meiden schiene. Sie sey schon oft deswegen bekümmert gewesen, und habe nachgesonnen, ob sie mich durch etwas beleidigt hätte; sie könnte aber nichts in ihrem Betragen finden.

»Nein, Beste! Durch was könnten Sie mich wohl beleidigen? Ueberhäufte Geschäfte[116] hindern mich nur, so oft von meinem Zimmer zu gehen, als sonst, und allerley Unannehmlichkeiten machen mich oft seit einiger Zeit mismüthig.«

Nun nahm sie den lebhaftesten Antheil an meinem Kummer, und ich weiß gewiß, meine Marie selbst würde mir den feurigen Kuß verziehen haben, den ich auf des liebenswürdigen Mädchens Hand drückte. Sie erröthete sanft, und zum guten Glück kam ihr Onkel zu uns.

Aber, aller solcher Gefahren ungeachtet, werde ich dir treu bleiben, theuerste Geliebte. Nie soll dein Bild in meinem Herzen verlöschen; nichts auf der Welt soll mich jemals gleichgültiger gegen dich machen. Nie, o! nie wird dein Eduard sich deiner unwerth betragen, und keine andre Begierde soll jemals das Herz entweihen, das so ganz dein Eigenthum ist![117]

Schreib mir bald wieder, lieber Freund. Alles, selbst jede Kleinigkeit, die dich angeht, interessirt auch mich.

Eduard.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 113-118.
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