Einundzwanzigster Brief

Sophie an Marien

[119] Kommen Sie doch zu mir, theure Freundinn, und seyn Sie Zeuginn meines Glücks. Mein [119] Karlsheim würde Ihnen gewiß gefallen. Ich habe ihm auch schon die tiefste Ehrfurcht gegen Sie eingeprägt, und der Artikel, daß Sie ihm – nach mir versteht sich – die liebste Person unter dem ganzen weiblichen Geschlechte seyn sollen, wird in unsern Ehepakten einen der hauptsächlichsten ausmachen.

Braut zu seyn, das ist doch eine Sache, die unser eins nicht so leicht verschweigen kann. Um also mein Herz ausschütten zu können, bat ich heute Mädchengesellschaft zu mir. Da hätten Sie denn die Glückwünsche hören sollen. Neid und Unmuth verbargen sich unter so mancher tiefen Verbeugung; einige gratulirten mir mit gezwungnem Lächeln, und schielten dabey mit einem unterdrückten Seufzer verstohlen nach meinem neuen Ringe hin. Mehr als alle andere dauerte mich die gute W. Von früher Jugend an liebte sie einen Jüngling, den nun vor einem Jahre seines Vaters Härte von ihr[120] trennte, und dem man eine andre Frau aufzwang. Vor vier Wochen reisete er heimlich hierher, um in dem Wäldchen, welches sonst der Ort ihrer Liebe war, sie noch einmal zu sehen, und auf ewig Abschied von ihr zu nehmen. Alle diese Erinnerungen wachten bey dem guten Mädchen auf, da sie mich in meiner jetzt so glücklichen Lage sah. Der Gedanke an ihren ehemaligen Geliebten drang mit Macht in ihre Seele. Sie entfernte sich, und sprach, mich umarmend: »O Sophie, ich wünsche Ihnen ein glücklicheres Schicksal, als das meinige war.« Dieses durchdrang mich, ich warf es mir als eine höchst sträfliche Unvorsichtigkeit vor, daß ich sie hatte bitten lassen, und ein kalter Schauer überlief mich.

Als ich wieder herein kam, sagte die älteste Mamsell Berg – ein Frauenzimmer von sieben und dreyßig Jahren, die jetzt, da sie sich nicht mehr für einige zwanzig jährig ausgeben kann, wie sie[121] sonst noch immer that, anfängt die Prüde zu spielen –:

»Ich dächte, die W. könnte doch nun auch das Winseln seyn lassen, und sich vielmehr freuen, daß sie noch mit so gnädiger Strafe für ihre Thorheit davon gekommen ist. Das frühzeitige Versprechen der jungen Leute taugt gar nichts. Man muß die Frucht erst reif werden lassen, ehe man sie vom Baum abbricht.«

»Ja, Mamsell Berg – sprach eine junge lebhafte Brünette – wenn man sie aber so lange sitzen läßt, bis sie wurmstichig wird, und vom Baum abfällt, so ist auch niemanden mehr damit gedient.«

Die ganze Gesellschaft belachte diesen Einfall; nur Mamsell Berg, so roth wie ein gereizter Puter, der eben auffliegen will, antwortete:

»Sie sind wohl sehr besorgt, mein Kind, daß das einmal Ihr Schicksal werden möchte, sonst würden Sie nicht so viel Mühe anwenden,[122] sich bey jeder Gelegenheit den Mannspersonen aufzudringen.«

»O, wenn das Aufdringen nur hilft, so geht es doch noch an; aber, Mamsell, es giebt Leute, die sich immer aufdringen, und denen doch nichts dafür zu Theil wird.«

Nun war unsre alte Schöne in Feuer und Flammen; denn sie hielt dieß für eine Anspielung auf eine Geschichte, die sie kürzlich mit einem jungen Magister hatte, der ihr ihm angetragnes sieben und dreyßig jähriges Herz, in ein niedliches Körbchen gepackt, ihr zurückschickte. Der Streit wurde nun so laut, und so allgemein, – denn der geheime Groll aller anwesenden Frauenzimmer war froh, eine Gelegenheit zum Ausbruch zu finden – daß mein Onkel von seinem Studierzimmer herunter kam und Frieden gebot; die Ausfälle gegen einander währten aber doch noch immer fort – denn alle Zungen waren nun einmal im Gange –[123] und hörten auf, mich zu belustigen, weil sie gar zu pöbelhaft wurden; so daß ich froh war, als die Zeit des Aufbruchs kam, und alle sich entfernt hatten, mich in meines Karlsheims Armen von diesen Langweiligkeiten erholen zu können.

Ich bin sehr besorgt, meine liebe Marie, weil ich so lange keinen Brief von Ihnen gehabt habe, und sehe mit Ungeduld einer Nachricht von Ihnen entgegen, auf die ich schon so lange gewartet habe.

Sophie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 119-124.
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