Sechsundzwanzigster Brief

Marie an Sophien

[136] Ach, unbefangen und heiter war ich wohl nie. Ich hatte zwar mein Herz einigermaßen betäubt, und schien glücklich zu seyn, aber ich war es nicht. Die Erinnerung an Eduard wachte oft bey mir auf. Zwar gelang es mir dann eher, sie los zu werden, aber ich konnte sie doch selten ganz unterdrücken, wohl eigentlich nie.

Und was noch meinen Schmerz vergrößert, ist die wenige Nachsicht, die Albrecht gegen meinen Kummer hat. Ich suche ihn zwar so viel möglich[136] zu verbergen, aber ganz kann ich es doch nicht.

»Ist denn des Winselns und Weinens noch kein Ende? – sprach er heute, da er unvermuthet in einer meiner traurigsten Stunden ins Zimmer trat. – Ich möchte nur wissen, was dir eigentlich fehlt.«

»Liebster Mann, habe Geduld mit mir, ich habe zuweilen solche traurige Stunden, in welchen ich mir selbst zur Last bin. Der Grund dazu mag wohl in meinem schwachen Körper liegen.«

»Der Grund dazu liegt in deiner übertriebnen Empfindsamkeit. Das ist es, was deinen Körper und deine Seele schwächt. Wenn du diese verwünschte Mode unsers jetzigen Zeitalters ablegen wolltest, so wärest du mir noch zehnmal so lieb; dann würdest du auch über keine Schwächlichkeiten zu klagen haben.«[137]

Damit gieng er zur Thür hinaus. O Albrecht! hättest du mehr von dieser Empfindsamkeit, wie du es nennst, so würden unsre Seelen sich gleicher fühlen, als jetzt. Aber so, wenn ich bis zu Thränen gerührt bin, bist du noch gar nicht einmal bewegt, und so geht es immer. Unsre Empfindungen treffen niemals zusammen, und das ist sehr hart für mich.

Doch, Sophie, wie unartig und verkehrt ist mein Herz! Ich suche den größten Theil meiner Schuld auf Albrecht zu schieben, und sie liegt doch bloß auf mir.

Müßte ich nicht, seiner Kälte ohngeachtet, ihn dennoch lieben, müßte ich nicht meine Empfindungen nach den seinigen zu stimmen suchen? Ist es nicht höchst strafbar, daß ich die Neigung, die ihm allein gehören sollte, auf einen andern Gegenstand fallen lasse? Müßte ich nicht jeden fremden Eindruck bekämpfen?[138]

Ach! ich kämpfe wohl. Mein Herz ist redlich, aber schwach. O du, der du seine Schwäche kennst, vergieb mir, reiche deinem hülflosen Geschöpfe die Hand, daß es nicht ganz unterliege! Ziehe mich wieder zu dir, Allliebender! Ach! sonst füllte deine Liebe ganz allein dieses Herz! Jeder Wunsch meiner Seele gehörte nur dir an! Ein fremder Götze hat dich verdrängt. Reiß ihn aus meinem Herzen, sollte es auch bluten. Matt und thränenvoll flehe ich zu dir, Gütiger! Stärke mich.

Sophie, ich wollte beten, aber mein Gebet würde Sünde seyn. Immer mischt der Gedanke an ihn sich unter den Gedanken an Gott. Ach! dieser Zustand ist der grausamste für mich; möchte es mir doch gelingen, mein Herz wieder zu beruhigen!

Mein kleines Lieschen fragte mich heute: ob ich böse auf sie sey? Ich hätte sie ja so lange nicht lesen lassen. Dieser Vorwurf rührte und[139] beschämte mich. Ich küßte sie, und hieß sie ihr Buch holen. Freudig sprang sie hin. Ja, Sophie, ich fühle, daß das beste Mittel, meinen Kummer zu zerstreuen, stete Beschäftigung ist, und die will ich mir zu machen suchen, so viel ich kann.

Seyn Sie mit Ihrem Karlsheim so glücklich, wie Sie beyde es verdienen. Der Himmel schütze Ihre Liebe vor allen widrigen Zufällen, und lasse Sie, Hand in Hand gepaart, freudig durchs Leben hingehen. Dieß ist der eifrigste Wunsch Ihrer bekümmerten

Marie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 136-140.
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