Siebenundzwanzigster Brief

Ferdinand an Eduard

[140] Ich muß dir aufrichtig gestehen, daß ich beym Lesen der ersten Zeilen deines Briefes ihn unmüthig wegwarf, und ihn beynahe zerrissen hätte.[140] Ich überwand mich aber doch, ihn durchzulesen, und das Ende versöhnte mich einigermaßen wieder mit dir. Indessen kann ich dir doch die schlechte Meynung nicht vergeben, die du von Klingen und Henrietten hast. Klinge ist der rechtschaffenste Kerl von der Welt. Er liebt mich aufs uneigennützigste, und sorgt bloß aus Liebe zu mir für mein Vergnügen.

Zum Beweise, daß er gar nicht mein Geld an sich zu reißen sucht, will ich dir einen Vorfall erzählen. Gestern war er bey mir. Es kam jemand und brachte ihm einen Zettel. Er wurde ganz blaß, und erschrack heftig als er ihn las. Ich fragte ihn, warum er so erschrocken wäre? Er bat mich aber sehr, nicht in ihn zu dringen, weil er mir doch unmöglich die Ursache davon sagen könne. Höchst niedergeschlagen gieng er weg, und ließ aus Versehen den Zettel auf die Erde fallen. Ich hob ihn eilig auf, und sah, daß es ein Mahnbrief war, von einem[141] Gläubiger geschrieben, der eine Summe von ihm zu fordern hatte, und der ihm mit dem strengsten Arrest drohte, wenn er nicht heute noch Rath schaffte. Ich lief Klingen eilig nach, und bot ihm meine Börse an; aber er wollte sie durchaus nicht annehmen.

»Du brauchst dein Geld selbst, liebster Bruder, sprach er. Ich will nicht, daß meine Freunde um meinetwillen leiden sollen.«

Nur mit vieler Mühe brachte ich ihn dahin, meine Hülfe anzunehmen, und ich könnte dir mehr solcher Fälle nennen, da ich ihm mein Geld habe recht aufdringen müssen.

Auch Henriette kennt keinen Eigennutz. Diesen Morgen brachte ich ihr einige Geschenke, die ich auf Klingens Rath eingekauft hatte, der es der Mutter wegen für gut hielt; denn diese denkt nicht ganz so uneigennützig, wie das treffliche Mädchen. Aber, wie erschrack ich, als sie sich sehr dadurch beleidigt fand![142]

»Meine Liebe läßt sich nicht durch Geschenke erkaufen. Nehmen Sie sie wieder mit, Ferdinand, ich werde sie nicht annehmen. Ich sehe bey der Wahl eines Geliebten bloß auf das Herz. Reichthum wird mich nie rühren. Die Liebe bedarf keiner Güter; sie muß eben so glücklich in Mangel und Elend als im Ueberfluß seyn.«

Siehst du nun, Eduard, was sie für ein herrliches Mädchen ist? Ich mußte die Geschenke durchaus wie der mitnehmen, und gab sie heimlich der Mutter, mit der Bitte, sie Henrietten auf irgend eine Art beyzubringen.

Schreib mir doch nicht so oft von Barthold. Ich kann mit ihm nicht umgehen; denn er ist ein Feind von Klingen. Sie haben sich einmal gezankt, und die Ursache des Streits macht Bartholden keine Ehre, wohl aber Klingen. Und diesem letzten bin ich für seine Freundschaft doch wohl so viel Dank schuldig, daß ich kein Bündniß[143] mit seinem Feinde errichte. Also sage mir von diesem Punkte nichts mehr.

Ferdinand.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 140-144.
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