Achtundzwanzigster Brief

Barthold an Eduard

[144] Bis jetzt ist noch alle meine Mühe um Ferdinand vergeblich gewesen. Ob er mir gleich wirklich einigemal auf eine beleidigende, geringschätzige Art begegnete, so bin ich doch zweymal bey ihm gewesen; ich habe ihn aber nicht antreffen können. Ich machte verschiedne Versuche ihn auf der Straße zu sprechen, aber vergebens. Sein Complot hält ihn stets so fest umlagert, daß es nicht möglich ist, ihm beyzukommen; ich glaube fast, sie wittern meine Absicht. Kollegia besucht er gar nicht mehr. Den größten Theil des Tages ist er bey Henrietten, den andern bey seinen Genossen; den Abend wird[144] getrunken, gespielt, geschwärmt, und Ferdinand muß die Zeche bezahlen. Klinge ist ein ausgelernter Bösewicht. Er ist schon lange auf Universitäten und kennt alle Burschenränke genau. Er hat von Natur viel Verstand, ist aber im ersten Jahre seines akademischen Lebens so ausschweifend geworden, daß er durch die äußerste Lüderlichkeit sowohl seinen außerordentlich starken Körper, als auch seine Geisteskräfte ruinirt hat: er besitzt aber doch noch List und Bosheit genug, um unter seinen Bekannten ein gewisses Ansehen zu behaupten, und die jungen Ankömmlinge, deren Bekanntschaft er sucht, zu verführen.

Er hat die Geschicklichkeit, so ziemlich den Ton desjenigen anzunehmen, auf den er seine Absicht gerichtet hat. Er wollte auch einmal mit mir Freundschaft errichten, aber zum guten Glücke war ich vor ihm gewarnt, und mied seinen Umgang sorgfältig. Seit der Zeit hat er einen[145] Groll gegen mich gehegt, und ich vermuthe auch, daß er Ferdinand von mir abhält.

Um dir seinen Charakter zu schildern, will ich dir einige Züge von ihm erzählen:

Zu J–a, wo er zuerst studierte, war er durch seine Lebensart so sehr heruntergekommen, daß er keinen Pfennig Geld, und, was noch schlimmer war, auch keinen Credit mehr hatte. Er machte mit einer alten reichen Wittwe Bekanntschaft, schmeichelte ihr ungemein, schwatzte von Liebe und dergleichen, küßte in einer Minute zehnmal ihre dürren Hände, und wandte sich dann auf die andre Seite, um auszuspucken. Daß ichs kurz mache, er entzückte die Alte – der man in der Blüthe ihrer Jahre nicht halb so viel Süßes gesagt hatte, als sie jetzt beständig von Klingen hörte – so sehr, daß sie im ganzen Ernst den Entschluß faßte, ihn zu heyrathen. Er schien darüber vor Freuden außer sich zu seyn, ob ihm gleich an der Ehre nicht viel[146] lag; denn er wußte, daß die alte Dame, alles guten Willens ohngeachtet, ihn nie zum Erben einsetzen konnte, weil ihr Vermögen schon rechtmäßigen Anverwandten bestimmt war.

Eines Tages gieng er zu ihr, und nachdem er durch die stärksten Schmeicheleyen und Liebkosungen die gute Wittwe in die zärtlichste Stimmung gesetzt hatte, sagte er ihr:

Er sähe mit stärkster Sehnsucht dem Tage ihrer Verbindung entgegen, und hoffte auch diesem glücklichen Zeitpunkte nahe zu seyn. Es wäre ihm eine Bedienung angetragen, nur die einzige Schwierigkeit sey dabey, daß er, um sie zu bekommen, zweyhundert und funfzig Thaler anwenden müsse, und die wüßte er sogleich nicht zu schaffen.

»O! wenn weiter nichts ist, unterbrach ihn eilig seine Schöne, dazu wollen wir wohl Rath finden. Hier in meinem Schranke ist die Summe, und noch wohl mehr.«[147]

»Ihre Güte rührt mich, theuerste Frau! Aber man soll mir nicht den Vorwurf machen, als mißbrauche ich dieselbe. Ich erwarte in einigen Wochen meinen Wechsel, und nehme das Geld unter keiner andern Bedingung an, als daß es bloß ein Darlehn bis dahin seyn soll. Ich gebe Ihnen eine Verschreibung, die Sie selbst zur größten Sicherheit unterschreiben sollen.« Die Alte wurde von seiner Großmuth entzückt. Sie gab ihm das Geld, und ihren Namen auf einen Bogen Stempelpapier geschrieben. Er setzte zu Hause eine Verschreibung von eben der Summe über den Namen, und gieng mit diesem Papier, das nun ein förmlicher Wechselbrief war, zu einem Juden, der ihm willig mit gehörigem Abzug zweyhundert und funfzig Thaler darauf auszahlte: denn die Wittwe war als eine sehr reiche Frau bekannt. Er ließ die Verschreibung in des Juden Händen, miethete ein Pferd, und ritt mit seinen fünfhundert Thalern in der Tasche[148] zum Thor hinaus, und eilte in vollem Gallop nach G. – Der Jude drang zwar bald nachher auf seine Bezahlung bey der Wittwe, und diese sah dann den Betrug ein, den man mit ihr gespielt hatte. Sie schämte sich, gab dem Juden das Geld, und noch etwas drüber, damit er verschwiegen blieb, und nahm sich, indem sie Klingen verwünschte, vor, künftig nicht so leichtgläubig zu seyn.

Mit diesem Gelde nun lebte er ganz seinem Hange gemäß in G. Leider aber war es bald durchgebracht, und er kam so sehr in übeln Rufdaß ihm niemand mehr borgen wollte, sogar der Jude und Weinschenke nicht.

Jetzo lebt er wieder herrlich und in Freuden, und rühmt sich der mannichfaltigen List, durch die er Ferdinands Einfalt zu berücken weiß. Noch neulich hat er durch einen erdichteten Schuldbrief, den einer seiner Genossen schrieb, und den er als von ohngefähr bey Ferdinand[149] verlor, von diesem eine starke Summe erpreßt, und er weiß sich dabey so schlau zu betragen, daß der arme Betrogne ihm immer das Geld aufdringen, und sich ihm verbunden glauben muß, daß er ihm die Ehre erzeigt, es anzunehmen.

Zum Unglück hält man hier Ferdinand für sehr reich. Er hat also allenthalben Credit, und ich habe von unglaublich starken Schulden gehört, die er hier schon gemacht haben soll. Wie bedaure ich den guten Jungen, daß er schon so früh in die Hände dieses listigen Verführers fiel!

O Freund, wie mancher Jüngling hat hier Ferdinands Schicksal! Gut und unbefangen kömmt er her, mit den besten Vorsätzen, seine Zeit klug zu nützen. Das erste Vierteljahr ist er fleißig, im zweyten schon weniger. Das künftige halbe Jahr besucht er nur selten die Kollegia, und so überläßt er sich nach und nach allen Ausschweifungen. Kommen einmal Gewissensbisse,[150] so wird er von seinen Bekannten übertäubt und verlacht. Wo sollte er auch an seine Pflichten erinnert werden? Die Vorlesungen seiner Lehrer besucht er nicht mehr. In die Kirche zu gehen, wie lächerlich ist das für einen Studenten! Höchstens läuft man einmal hindurch, um die andern Zuhörer in der Andacht zu stören. Der Vater und die zärtlich besorgte Mutter schreiben vergebens Briefe voll rührender Ermahnungen.

»Wie leicht wird es denen, uns zu ermahnen, sagen seine Freunde, für die das Vergnügen keinen Reiz mehr hat! In ihrem Alter wollen wir auch moralisiren. Als sie in unseren Jahren waren, machten sie es wie wir. – –«

So wird alles unterdrückt, was den armen Jüngling zu seiner Pflicht zurückführen könnte. Im Taumel der Lüste verlebt er seine Zeit, und nun geht er mit siechem Körper zurück, den Geist und das Herz leer von allen den Kenntnissen[151] und Gesinnungen, um deren willen er auf die Universität gesandt ward; und doch besitzt er wohl Unverschämtheit genug, seine blassen eingefallnen Wangen für Folgen des Fleißes und nächtlichen Studierens auszugeben.

Der Vater dringt jetzt in ihn, sich um ein Amt zu bewerben. Er sinkt entweder ganz in Muthlosigkeit, und ergreift einen verzweiflungsvollen Entschluß, oder die Vorwürfe seines bisher schlafenden Gewissens wachen nunmehr auf. Er fühlt lebhaft seine Unwürdigkeit, er strengt sich an, das Versäumte nachzuholen. Sein geschwächter Körper vermag nicht, dieses anhaltende Arbeiten, dieses nächtliche Studieren auszuhalten. Hypochondrie, mit ihrem schrecklichen Gefolge, kömmt über ihn. Höchstens schleppt er sein elendes Leben, sich selbst und andern zur Last, bis an vierzig fort. Und dann, da er billig erst die Freuden des Lebens recht genießen sollte, stirbt er dahin. Seine Wittwe – wenn er das[152] Herz hatte, eine Frau zu wählen – ringt wehklagend die Hände; seine Kinder, deren ganzes Erbtheil ein siecher Körper ist, irren verlassen umher. Bedaurenswürdige Unglückliche! Doch gewöhnlich entreißt sie ein früher Tod dem auf sie wartenden Elend.

Nenne dieses Gemälde nicht übertrieben, lieber Eduard. Leider zeigen uns täglich traurige Erfahrungen genug, daß es mehr als zu oft gegründet ist. Zwar giebt es der Unverschämten genug, die, ihrer Unwürdigkeit ohngeachtet, mit dreister Stirn um Aemter anhalten. Angesehene Familie oder Geld – (beydes gilt oft mehr als Verdienst –) verschaffen ihnen auch wohl eine brillante Stelle. Aber ohngeachtet des äußern Scheines sind sie doch im Herzen nicht glücklicher, als jene. Die Strafe der Jugendsünden bleibt auch hier schon nicht aus.

Wie danke ich es meinem Schöpfer, daß er meine Jugend rein von solchen Vergehungen erhielt,[153] die in der Folge der Jahre mich schmerzen könnten! Mit frohem Muthe kann ich doch nun meinem Vater, meiner zärtlichen Mutter zueilen; bey ihren Freudenbezeugungen, bey ihren Liebkosungen, wird doch kein peinliches Gefühl mir sagen, daß ich ihrer unwerth bin.

Möchte doch unser Ferdinand auch wieder von seinem Irrwege zurückkommen! Ich habe einige Hoffnung, wenigstens den schändlichen Plan zu entdecken, den gewiß Henriette mit ihm im Sinn hat. Es wohnt ein junger Mensch in ihrem Hause, dem ich einst einen wichtigen Dienst erzeigte, für den er mir noch immer dankbar ist. Diesen will ich zum Kundschafter brauchen. Er ist verschlagen, und wird seine Sachen gewiß gut machen. Gott, welche Freude für mich, wenn es mir gelänge, unsern Ferdinand zu retten! Ich schreibe dir bald wieder.

Barthold.[154]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 144-155.
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