Dreyßigster Brief

Barthold an Eduard

[158] Wo soll ich meine Erzählung anfangen? Ich bin ganz betäubt von allen den Begebenheiten, die sich hier zugetragen haben. Du wirst über die Bosheit und Ränke erstaunen, die man dem armen Ferdinand spielte. Henriette ist eine verschmitzte Buhlerinn, die mit Liebhabern wie mit Spielzeug wechselt. In ihrem vierzehnten Jahre war sie – ich habe ihren ganzen Lebenslauf erfahren – ein liebenswürdiges Mädchen, voller Geist und Schönheit.[158]

Sie erregte allenthalben Aufmerksamkeit, und zog durch die allgemeine Bewundrung der Mannspersonen gar bald den Neid ihrer Gespielinnen auf sich. Sie selbst wurde bald durch die Schmeicheleyen der jungen Herren verwöhnt, und wurde eine der gefährlichsten Coketten, die mit dem verbuhltesten Herzen stets von Tugend und Sittsamkeit reden. Sie fieng viele der reichsten jungen Leute in ihr Netz, erschöpfte sie durch unmäßige Geschenke, die sie ihr machen mußten, und wenn sie dann den einen ganz ausgesogen hatte, so gab sie ihm den Abschied und wählte einen andern. Es fehlte ihr auch nie an einem Liebhaber, weil sie wirklich sehr viel Angenehmes besaß.

Endlich aber kam ihr fünfundzwanzigstes Jahr heran. Sie gab sich zwar noch immer für achtzehnjährig aus, es gab aber der Leute viele, die zu gut rechnen konnten, um dieser Aussage vollen Glauben beyzumessen. Sie stand nunmehr[159] in so sehr üblem Ruf, und kam in so merkliche Abnahme, daß ein Mensch, der noch etwas Ehre besaß, sich ihres Umgangs schämte.

Klinge lernte sie kennen, verliebte sich in sie, und er, den sie sonst kaum angesehen hätte, wurde jetzt erhört. Ihr Umgang wurde bald sehr vertraut; denn sie so wenig als er waren zur platonischen Liebe geschaffen, und eine gewisse Veränderung, die sie an sich spürte, ließ sie etwas befürchten, davon sie sich, als eine Kennerinn, bald mit Gewißheit überführte. Was war nun zu thun? So bald Papa zu werden, war gar nicht nach Klingens Wunsch. Auch vermochte sein Beutel nicht die Unkosten zu tragen, die gewöhnlich mit dieser Ehre verknüpft sind. Er konnte sich auch nicht von ihr losmachen, und sie hatte Geschicklichkeit genug, ihn so verliebt zu erhalten, daß er noch immer den lebhaften Wunsch behielt, sein Einverständniß mit ihr fortzusetzen.[160]

Da nun Delikatesse in der Liebe eben nicht seine Schwachheit war, so entwarfen beyde den Plan, einen reichen Tropf in Henriettens Garn zu ziehen, der den Namen und die Kosten des Vaters vom Kinde trüge. Diesen fand man, wie man ihn nur wünschen könnte, in Ferdinand. Er war unerfahren genug, um aus dem schleunigen Betrieb, den die Sache foderte, nicht den mindesten Argwohn zu schöpfen. Es kostete Klingen eben so wenig Mühe, ihn zur Liebe anzufeuern, als Henrietten, die Tugendhafte vor ihm zu spielen. Er lief selbst in die Fallstricke hinein, die man ihm legte, und glaubte Henriettens Unschuld zu Fall gebracht zu haben, da sie die seinige zu Grunde richtete.

Sie verließ wehklagend das Zimmer, um in einem andern mit Klingen Ferdinands Einfalt zu belachen, der verzweifelnd seiner Geliebten Unglück beklagte, und sich glücklich schätzte, das Geschehene durch eine Eheversprechung wieder[161] gut machen zu können. Dieses gieng über ihre Erwartung. So viel hatten sie sich kaum vorgestellt. Klingens Freude war unbändig. Er wollte nun über eine Weile Ferdinands Vater einen Theil der Sache stecken lassen. Dieser, hoffte er, würde sich aus allen Kräften der Verbindung seines Sohnes widersetzen. Henriette sollte dann so viel von Tugend und vom Raub ihrer Ehre schwatzen, daß der reiche Alte sich glücklich schätzen würde mit ein paar tausend Thalern von der Sache los zu kommen. Mit diesem Gelde wollte sich dann Klinge einrichten, und seine Schöne heyrathen. So dachte er. Henriette aber dachte an ders.

Sie war seiner Liebe satt, empfand mehr Wollust in Ferdinands Armen, als bey ihm, den die Folgen eines schlecht geführten Lebens matt und kraftlos gemacht hatten. Auch war Ferdinand reich und konnte sie ernähren. Bey Klingen aber fiel es bloß auf sie, für ihren[162] Unterhalt zu sorgen, denn er, nur in Nänken geschickt, war unfähig es je zu etwas zu bringen. Hingegen fand ihr Stolz sich nicht wenig geschmeichelt, wenn sie dachte, welch eine vornehme Dame sie noch einmal bey Ferdinand werden könnte. Sie legte es also im ganzen Ernst darauf an, ihn zu heyrathen. Dieses aber verbarg sie sorgfältig vor Klingen, und indem sie in seinen Plan einzustimmen schien, dachte sie heimlich darauf, sich ihn vom Halse zu schaffen.

Dieß alles erfuhr ich durch Koch – so heißt der junge Mensch, von dem ich vorigesmal dir schrieb – und erstarrte. Zugleich sagte er mir auch die Zeit, in der Klinge bey ihr zu seyn pflege; es waren gerade die zwey Stunden, welche Ferdinand auf dem Fechtboden und im Reitstall zubrachte; dieses waren die einzigen Uebungsstunden, die er noch besuchte.

Klinge pflegte ihn in die Straße zu begleiten, und dann nach Henriettens Wohnung zu[163] gehen. Ich begab mich in den langen Gang, der zum Fechtboden führt. Ferdinand kam, und stutzte, als er mich sah. Ich gab vor, daß ich einen wichtigen Brief von dir ihm zu geben hätte, und bewegte ihn, mit mir an einen abgelegnen Platz zu gehen. Hier suchte ich sein Herz zu erweichen. Ich erinnerte ihn an die Freundschaft unsrer Kindheit, an seinen alten Vater. Anfangs war alles umsonst, und ich erstaunte über die schnellen Wirkungen, die ein schlechter Umgang auf das Herz macht. Ich merkte aber doch, daß er zuletzt dem Eindruck nicht länger zu widerstehen vermochte, den die Vorstellungen von seinem Vater auf ihn machten. Er wollte seine Rührung verbergen. Ich warf mich um seinen Hals.

»Bester Ferdinand, verbirg nicht diese Rührung, die deinem Herzen Ehre macht!«

»Barthold! Ists möglich, du noch mein Freund?« Er lag nun schluchzend an meinem[164] Halse. Was ich fühlte, kann ich dir nicht beschreiben. Nun, glaubte ich, sey der rechte Zeitpunkt. Ich entdeckte ihm den ganzen Plan der Verschwörung gegen ihn. Aber, aller Vorsicht ungeachtet, brauste er hier wie rasend auf. Er fluchte, schimpfte mich einen Verläumder, und wollte nichts von dem, was ich sagte, glauben.

Zuletzt blieb mir kein andres Mittel übrig, als ihn zu fragen, ob er mit mir zu Henrietten gehen, und sich selbst überzeugen wolle.

»Ja – schrie er wüthend – das will ich, aber hast du gelogen, so sollst du ein schreckliches Opfer meiner Rache werden.«

Er lief erst eilig nach Hause, und in einer Minute war er wieder da. Koch hatte mir den Schlüssel zu einer Hinterthür gegeben, durch die man unbemerkt ins Haus kommen konnte. Wir giengen hinein, und ich führte ihn an einen Ort, von dem man eine Stube übersehen konnte, die in den Hof gieng, und die, ihrer[165] einsamen Lage wegen, von Henrietten zu dem Gemach ihrer geheimen Liebesgeschichten ausersehen war. Hier sah er, auf eben dem Sopha, auf welchem er zuerst ihrer genoß, sein treues Mädchen auf Klingens Schooß, der sich allerley Freyheiten bey ihr heraus nahm.

Ich Thor, ich wollte ihn bewegen, wieder mit mir umzukehren, und nur durch Verachtung sich an dem niederträchtigen Paar zu rächen. Aber weit gefehlt! Er war nach Hause geeilt, um zwey Degen, unter seinem Mantel verborgen, zu holen. Wüthend stürzte er ins Zimmer: »Stirb, schändlicher Verräther! Aber da, Memme, vertheidige dich! Fast schäumend eilte er mit dem Degen auf ihn los.« Der verrätherische Klinge brachte dem unbesonnenen Ferdinand hinterlistig einen Stich bey, der wohl, seiner Absicht nach, tödtlich seyn sollte, und nun wollte er aus dem Hause entspringen; aber die Jägerwache, durch den Lärm aufmerksam gemacht,[166] hielt ihn an, und auch Ferdinand, der zum Glück von dem Stich, welcher fehl traf, nur leicht verwundet war, so wohl als ich erhielten Stubenarrest. Ich verließ den beynahe sinnlosen Ferdinand sehr ungern. Morgen werden wir vor Gericht erscheinen.

Barthold.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 158-167.
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