Zweyunddreyßigster Brief

Marie an Sophien

[171] Denken Sie an, Sophie, Albrecht ist verreiset. Dringende Geschäfte machten seine Abwesenheit auf einige Monate nothwendig. Beym Abschiede umarmte er mich ziemlich kalt.[171]

»Ich bitte dich, Marie, suche dich während meiner Entfernung aufzuheitern. Du weißt, ich kann das weinerliche Wesen nicht ausstehen. Laß mich dich heiter wieder finden, meine Liebe. Ich habe Wildberg aufgetragen, dich unter der Zeit so viel möglich zu zerstreuen, und dir auch bey etwan vorkommenden Fällen mit gutem Rathe beyzustehen.«

Mit diesen Worten verließ er mich, und meine mühsam aufgehaltnen Thränen flossen nun reichlich. Gott, ist das der Abschied, den er von mir nimmt, auf so lange Zeit! Der ganze Abschied, diese wenigen kalten Worte! Ach! wenn Eduard nur auf einige Tage, nur auf wenige Stunden sich von mir trennte; wie waren dann unsre Empfindungen so ganz anders gestimmt!

Ich bemühte mich diese Gedanken zu verbannen, aber völlig verscheuchen konnte ich sie nicht. O Sophie! Sie beurtheilen Eduard ganz falsch. Er war weder leichtsinnig noch unedel. Sein[172] Herz war nur großen Empfindungen offen. Ich wiederhole es Ihnen noch einmal: nur ganz besondre Umstände konnten ihn zu dem Schritt bewegen, den er that.

Warum mußte Albrecht zu meinem Gesellschafter in seiner Abwesenheit Wildbergen wählen? Ihn, dessen Schmeicheleyen, dessen Aufdringen mir so verhaßt ist! Doch, was fürchte ich von ihm? Ich werde mich so gegen ihn betragen, wie Pflicht und Klugheit es gebieten.

Wie gern brächte ich die Zeit meiner Wittwenschaft bey Ihnen zu, liebe Freundinn! Ich fürchte, die Einsamkeit wird die traurige Stimmung meines Herzens nähren. Sie wird den Bau wieder einreißen, den ich mit so vieler Mühe anfieng. O daß meine Vernunft so sehr Sklavinn der Empfindung ist! Wäre ich bey Ihnen, Sophie, so würde zwar ihr lebhafter Geist meine Seele aufheitern, aber ach! tausend Erinnerungen an das Vergangne würden[173] auch in mir erwachen, wenn ich Sie und Karlsheim sähe; die Ausbrüche Ihrer Zärtlichkeit würden meine Augen mit Thränen füllen; ich würde in ihm die sanfte Stimme meines ehmals so innig geliebten Eduards wieder zu hören glauben; ich würde nur eine Störerinn ihrer Freude seyn.

Das, was sie mir von Karlsheims Schwermuth sagen, zusammen genommen damit, daß er im Anfang seine Liebe zu Ihnen bekämpfen wollte, macht mich unruhig. Versäumen Sie doch ja nicht, mit zärtlichem Ernst in ihn zu dringen, um die Ursache seines Kummers zu erfahren. Vielleicht kann sie noch gehoben werden.

Ihren Hochzeittag werde ich hier mit stiller Wehmuth feyern. Meine Seele wird Sie umschweben, und meine innigsten Wünsche werden Sie bis zum Altar begleiten, wo Sie beyde ein festes Band auf ewig zusammen knüpfen wird. Kein Wölkchen müsse an diesem schönen[174] Tage den heitern Himmel trüben, und die ganze Natur sich mit Ihnen freuen. Und wenn Sie dann wonnetrunken an Ihres Jünglings Seite sitzen, so denken Sie an Ihre Marie, für die hienieden die Freuden der Liebe dahin sind, und wünschen Sie ihr, bald einer Welt entrückt zu werden, die außer meinen Freunden nichts Anziehendes mehr für mich hat.

Marie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 171-175.
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