Sechsunddreyßigster Brief

Sophie an Marien

[204] Ja, Theuerste, ich will zu Ihnen kommen. In acht Tagen bin ich bey Ihnen. Ich fühle, daß auch mir eine Entfernung von hier nöthig ist. Dann wollen wir zusammen weinen, und eine in der andern Kummer Trost suchen. Auch mein Herz blutet noch oft, wenn ich an Karlsheim denke.

[204] Julie ist seit der Entwicklung ihres Schicksals ein ganz andres Geschöpf geworden. Ihr Auge ist heller, ihre Wange lebhafter; auch ihre Munterkeit und ihr Witz, durch das Unglück niedergedrückt, kömmt wieder hervor. Kurz, sie ist jetzt ein liebenswürdiges Mädchen, die auch durch andre Mittel, als durch die redende Miene ihres Kummers, die Herzen einzunehmen weiß. Ihre Hochzeit wird künftigen Donnerstag seyn.

Mein gütiger Onkel hat mir erlaubt, ihr meine Aussteuer zu schenken; auch mein Brautkleid und den dazu gehörigen Putz hat sie bekommen. Als ich ihr dieses antrug, wurde sie höchst gerührt, und sagte mir vieles zu meinem Lobe, das ich nicht ganz verdiene. Wäre ich nicht das schändlichste Geschöpf, wenn ich anders hätte handeln können? Und doch hält der größte Theil unsres Publikums meine Handlung für übertrieben. Meine Bekanntinnen spotten mit hämischer Schadenfreude darüber, und[205] nur wenige giebt es, die mich recht beurtheilen.

Neulich mußte ich in der Komödie ein Gespräch einiger Frauenzimmer anhören, die es nicht wußten, daß ich hinter ihnen saß.

»Wer hätte das gedacht, daß die Sache einen solchen Ausgang nehmen würde?«

»Ja wohl, wer hätte das denken sollen? Sie that ja so dick mit ihrem Karlsheim; wenn sie auf der Straße mit ihm gieng, sah sie triumphirend umher, als wollte sie aller Welt sagen: Seht, das bin ich. Es war ja kaum, als wenn sie einen noch kennte. Ich glaube auch, es wäre Karlsheim nie eingefallen, auf sie zu denken, wenn sie ihm nicht so nachgelaufen wäre. Allenthalben war sie ja hinter ihm her.«

»Ja, sie war bis über die Ohren in ihn verliebt, und man sagt auch, ihr Onkel möchte wohl gemerkt haben, wie sehr es ihr um einen Mann zu thun wäre, und daß es vielleicht nothwendig[206] wäre, ihr bald einen zu geben; er habe sie ihm also angetragen. Ich glaube es auch wohl, denn sie baten ihn ja gleich anfangs immer zu Gaste, und suchten ihn an sich zu ziehen.«

»Ich hätte ihn wahrhaftig nicht genommen, wenn er zu mir gekommen wäre. So ein Fremdling, den man nicht kennt! Ach! er that anfangs so süß gegen mich –« (er hatte sie erst kennen gelernt, als ich sie nebst den andern Mädchen an jenem Nachmittage, den ich Ihnen beschrieb, zu mir gebeten hatte – –) »daß es allen Leuten auffiel; aber ich sah ihn kaum an, und führte ihn bey jeder Gelegenheit ab.«

»Das habe ich nun zwar niemals bemerkt. Aber, wie gesagt, Sophie hat recht dumm gehandelt. Da er nun einmal ihr Bräutigam war, so hätte sie ihn auch sollen fest halten. Die andre muß ein listiges Mensch seyn, daß sie so bis auf die letzte Stunde gewartet hat. Es[207] ist ihr gewiß nur um ein gut Stück Geld zu thun gewesen, – denn, im Vertraun gesagt, sie soll nur eine gemeine Hure seyn, und wer weiß, ob das Kind nicht mehr Väter hat, als Karlsheim allein? – und da hätte ich doch lieber meinen Staat ein wenig eingeschränkt, und ihr eine Summe hingeschmissen, als mich so blamirt.«

»Ja, ja, das Ding muß so einen eignen Haken haben. Aber das weiß ich gewiß, so stolz sie auch immer that, so wird, aller ihrer Coketterie ohngeachtet, sich gewiß kein Liebhaber wieder zu ihr finden.«

»Werdet Ihr noch nicht aufhören, durch Eure Lästerzungen eure Nachbarn zu stören? Sophie wird gewiß eher zehn vernünftige Freyer finden, als Ihr einen. Ihr solltet es gar nicht einmal wagen, von ihr zu reden, da Ihr gar nicht einmal fähig seyd, ihr edles Betragen zu beurtheilen. Schämt Euch Eures Geschwätzes,[208] aus dem doch bloß Neid und Schadenfreude hervorleuchtet. Alles Zierens ohngeachtet ist doch gewiß keine einzige unter Euch, die nicht mit größter Freude Karlsheims Hand würde angenommen haben, und bloß Eure getäuschten geheimen Hoffnungen machen Eure Zungen so hämisch. Es ist nur gut, daß Euer Tadel wahres Lob für den ist, auf welchen er er fällt.«

So sprach die alte geheimde Näthinn B., eine verehrungswürdige Frau, von allen Guten geliebt, und von den Bösen gefürchtet, und sie schwiegen, wie vor den Kopf geschlagen. Der Beyfall dieser vortrefflichen Matrone ist mir wichtiger, als aller Spott und Tadel der Gänschen unsrer Stadt. Man läßt sie schnattern, ohne auf sie zu hören, und dann verstummen sie bald.

Karlsheim und Julie sind zwar über diese kleinen Geister zu sehr erhaben, um nur im mindesten auf sie zu hören; um sich aber doch gar keinen Unannehmlichkeiten auszusetzen, wird ihre[209] Hochzeit bey einem Pachter meines Onkels, eine Stunde weit von hier, gefeyert werden. Doch das alles beschreibe ich Ihnen im nächsten Briefe.

Sobald sie verbunden sind, und ich ihre Einrichtung besorgt habe; denn Julien sind die Preise der Sachen und alle solche Dinge hier ganz unbekannt: so komme ich zu Ihnen, liebe Marie, um in Ihren Armen auszuruhen.

Sophie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 204-210.
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