Achtunddreyßigster Brief

Marie an Sophien

[212] O Sophie, kommen Sie zu mir. Nicht nur mein innres Leiden zehrt mich ab; auch noch der nichtswürdige Wildberg sucht mich zu kränken. Er belästigt mich täglich mit seiner Gegenwart, weint mit heuchlerischen Thränen, als nähme er den größten Antheil an meinem Schmerz, fragt mich unruhig nach der Ursache meines Kummers und schwört, daß ihm sein Leben selbst nicht zu theuer seyn soll, um es für meine Zufriedenheit aufzuopfern. Bisher begnügte ich mich damit, ihm äußerst kalt zu begegnen, und hütete mich, so gegen ihn zu verfahren, wie ich sonst[212] würde gethan haben, um nicht Albrecht zu beleidigen, der sein eifriger Freund ist, und dem ich die wahre niedrige Gesinnung Wildbergs nicht entdecken mochte.

Diesen Morgen wurde er so unverschämt, mir ohne Scheu von Liebe vorzuschwatzen, und der Freche wollte sogar einige Liebkosungen wagen; aber ich verließ ihn mit der ganzen Verachtung, die er verdiente, und befahl meinen Leuten, niemand ungemeldet vor mich zu lassen. Mein Mädchen sagte mir, er hätte vor Zorn mit den Füßen gestampft, und im Weggehen drohende Worte ausgestoßen. Mag er doch. Mir soll seine Wuth nicht schaden. Aber, meiner Maaßregeln ohngeachtet, könnte er es vielleicht doch noch einmal versuchen wollen, zu mir zu kommen. Und ich wünschte mir Ihre Gegenwart, um mich vor allen solchen Unfällen zu schützen.[213]

Gott, wäre Albrecht doch erst wieder da! Es ist mir immer, als läge eine gewisse Ahndung schwer wie Bley auf mir. Es ist mir unmöglich, mich in den hiesigen Gesellschaften zu zerstreuen. Der Ton, der darinn herrscht, stimmt zu wenig mit meinen Grundsätzen und Empfindungen überein. Mich dünkt immer, es sey ein ungerechter sträflicher Raub, die Zeit, die Gott zu so edlen Endzwecken uns schenkte, damit zu tödten, daß wir sie vor dem Spiegel und Putztisch verschwenden, um den Nachmittag am Kaffeetisch mit Nichtswürdigkeiten, oft gar mit den schändlichsten Verläumdungen hinzubringen. Mein Innres empört sich immer, wenn es anhören muß, daß so hämischer Weise dem Nächsten Ehre und alles geraubt wird. Ich kann mich nicht enthalten, ihn zu vertheidigen, ob ich gleich wohl einsehe, daß es nichts hilft, und mich nur verhaßt macht.[214]

Noch kürzlich nahm eine solche mächtige vornehme Verläumderinn von einer monatlichen Abwesenheit eines jungen Mädchens Gelegenheit, ihr die schändlichsten Dinge nachzusagen, sie zu einer Hure und dergleichen mehr zu machen, die nur deswegen verreiste, um ihr Wochenbette heimlich zu halten. Ich kannte die Unschuld des Mädchens, das zwar sehr lebhaft ist, aber gewiß noch ein reines Herz hat, in welchem noch nie ein lasterhafter Gedanke entstand. Ich widerlegte die Beschuldigung, und bewies, daß sie falsch wäre. Was halfs indessen? Man schwieg zwar beschämt, aber bald sahen alle mit hämischem Lächeln einander an, und nachher haben sie denn gefunden, daß ich die Unterhändlerinn des jungen Frauenzimmers und ihres Galans sey.

Und was ist die Ursache dieses schändlichen Lasters? – Bosheit? Nein, Vater, so verkehrt schufst du das Herz deiner Menschen nicht! Gewiß giebt es nur wenige Menschen, bey denen[215] eigentliche Bosheit der Trieb zu diesem Laster ist: Langeweile und Eitelkeit. Manches unerfahrne Mädchen oder Weib geht vor Langerweile in Gesellschaft. Anfangs hört sie mit Unruhe die Lästerungen an, aber aus Gefälligkeit schweigt sie dazu. Bald sieht sie, daß Spöttereyen, skandaleuse Geschichten und dergleichen der Weg sind sich angenehm zu machen, Beyfall und Lob sich zu erwerben. Sie wendet also ihr Bißchen Witz dazu an. Nach und nach erstirbt auch der letzte Funken moralischen Gefühls, und sie durchschneidet des Nächsten Ehre eben so leicht, wie ein Stückchen Flor.

Gott im Himmel! wenn du einst von jedem unnützen Worte Rechenschaft von uns foderst, was wirst du dann von solchen Verläumderischen für Verantwortung heischen! Möchten doch in der Seele einer jeden, die nun da sitzt, und mit hämischem Witz die kleinste unschuldigste Handlung der andern verdreht, schrecklich die Worte[216] erschallen: So wie ihr richtet, werdet ihr auch wieder gerichtet werden! Möchte sie dann schnell ihre Rede endigen, und sich bemühen, das geschehene Unrecht nach allen Kräften wieder gut zu machen! Eile daheim, Unbesonnene, wirf dich vor deinem Gott nieder, und lies mit Andacht und Ehrfurcht die Bergpredigt unsers Erlösers, dieß göttliche Meisterstück! Und ist dann dein Herz ganz von den seligen Empfindungen der Bewundrung, der Liebe und Dankbarkeit durchdrungen, o so ruf ihn an – daß er dein Herz heilige, und es mit den erhabnen Gefühlen der Menschenliebe erfülle.

Sie fragen mich, Sophie, wie denn dem Uebel abzuhelfen sey? ob man sich durch Widerspruch dem Haß, den Bitterkeiten einer ganzen Menge aussetzen solle? Suchen Sie solche Gespräche zu vermeiden. Haben Sie Witz und Talente, o, so wenden Sie sie an, die Gesellschaft mit andern Dingen zu unterhalten. Suchen Sie[217] dieselben so interessant vorzutragen als möglich. Erzählen Sie merkwürdige edle Handlungen von andern. Will alles das nicht helfen; gähnt die ganze Gesellschaft: nun, so vermeiden Sie in Zukunft solche Besuche. Ist das nicht ganz möglich, so sprechen Sie von Putz, und dergleichen. Muß durchaus verläumdet werden, so wählen Sie zum Gegenstand ihrer Spöttereyen kleine unschädliche Thorheiten – das muß aber Ihr letztes Mittel seyn – und fallen doch Verläumdungen vor, die Ihrem Nächsten schaden könnten, so widerlegen Sie dieselben herzhaft, aber sanft und ohne Bitterkeit, und kehren Sie sich nicht daran, wenn eine oder die andre Ihnen ein scheeles Gesicht macht. Für dieß scheele Gesicht wird einst der Unschuldige Ihnen danken, dessen Ehre Sie retteten.

Verzeihen Sie meine Weitschweifigkeit, liebe Freundinn. Sie wissen ja einmal meine Art.[218] Erfüllen Sie meine Bitte, und kommen Sie bald in die Arme

Ihrer Marie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 212-219.
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