Neununddreyßigster Brief

Sophie an Marien

[219] Der Himmel möchte unsern Assembleen und Kränzchen gnädig seyn, wenn Sie Präsidentinn unsrer Obrigkeit wären. Sie würden mit eben so viel Strenge als Sultan Maßoud die Verläumdung ahnden. Aber Scherz beyseite, meine Marie, ich pflichte Ihrer Meynung vollkommen bey. Ihr Brief hat eine sehr ernsthafte Wirkung auf mich gehabt, und ich empfand bittre Schaam und Reue über die unvorsichtigen Reden, zu welchen mich zuweilen meine geläufige Zunge verführte. Ich habe auch den festen Vorsatz gefaßt, sorgfältiger über mich zu wachen, und mich nie wieder durch meinen Leichtsinn zur[219] Tadelsucht gegen andre hinreißen zu lassen. Da es mir aber doch ein Bißchen schwer fallen möchte, alle spöttischen Anmerkungen zu unterdrücken, so will ich in Zukunft nur über meine eignen Thorheiten spotten. Mit diesem Vorsatz sind Sie doch zufrieden, liebste Marie, nicht wahr?

Den Tag vor der Hochzeit kam Wilhelm an. Karlsheim flog in seine Arme. Ihre Liebkosungen waren äußerst zärtlich, und Wilhelm schien sich sehr über die Wendung zu freuen, die seines Freundes Schicksal gehabt hatte. Wie ihre Freudenbezeugungen etwas vorüber waren, bemerkte er auch uns, – Julien und mich – und kam auf uns zu. Wir hatten uns vorgenommen, ihm nicht zu sagen, welche von uns die Braut wäre; sein Scharfsinn errieth es aber gleich. Er küßte mit Wärme Juliens Hand, und sagte auch mir viel Schönes, aber gar nicht in dem Ton der Schmeicheley unsrer jungen Herren. Ueberhaupt haben alle seine Handlungen[220] etwas Charakteristisches, das ihm sehr gut steht, und jede seiner unbedeutendsten Handlungen anziehend macht.

Ich würde nicht so viel von ihm geschrieben haben, wenn ich nicht aus einem Gemälde, das er im Ringe trägt, wüßte, daß er eine Braut hat. Und wäre auch das nicht, so ist doch mein Herz, durch meine Begebenheit mit Karlsheim, der Liebe auf ewig verschlossen. Ich gebe es zu, daß der Ehestand unsre Bestimmung ist, aber es giebt auch Ausnahmen. Man hat auch im ledigen Stande Gelegenheit genug, gut und nützlich zu seyn. Sie sollen mich in der Erziehungskunst unterrichten, liebe Marie, und dann will ich mir ein süßes Geschäft daraus machen, kleine Mädchen zu mir zu nehmen und zu erziehen. Mein sonst so flatterhafter leichtsinniger Geist, den Sie so oft vergebens auf ernsthafte Gegenstände zu richten suchten, findet jetzt selbst Geschmack[221] an ernsten Dingen; alle andere Spielereyen, die sonst mich ergötzten, sind mir verhaßt.

Julie war an ihrem Hochzeittage schön, wie ein Engel. Das schmachtende Wesen, welches ihr ehemaliger Kummer so fest in ihre Gesichtszüge gewebt hat, mit der stillen Freude, das Ziel ihrer Wünsche nun erreicht zu sehen, vereinigt, machte eine höchst liebenswürdige Vermischung in ihrem Gesichte. Sie trug ein simples weißes taffetnes Kleid mit einer blaßblauen Brustschleife. Sie hatte einen leichten Florputz um den Hals, und eben solche Aermel – Spitzen wollte sie nicht annehmen. Statt der jungfräulichen Krone hatte sie eine Rose auf ihrem blonden Haar, und einen Straus von Vergißmeinnicht vor ihrer Brust. Karlsheim betrachtete sie mit Entzücken, und sagte ihr, sie sey ihm jetzt schöner als an dem Tage, da er sie zuerst sah. Sie wurden in einer ländlichen Kirche getraut. Wir hatten den Weg dahin mit Blumen bestreut. Auch die Pfeiler[222] und den Altar hatten wir mit Blumenkränzen umwunden, und die jungen und alten Bewohner des Gütchens folgten paarweise uns nach. Die Traurede war kurz und rührend. Nach der priesterlichen Einsegnung kehrten wir in des Pachters Wohnung zurück. Vor dem Hause ist ein großer freyer Platz. Hier wurden drey Tafeln gedeckt. An der ersten saßen Braut und Bräutigam, der Prediger und seine Frau – ein rechtes gutes Weib – Wilhelm, mein Onkel, ich, unser Wirth, einige Aeltesten des Orts, in allem zwölf Personen. An der zweyten saßen alle Männer und Weiber, die alten und jungen, an der dritten das unverheyrathete junge Volk und die Kinder. Mein Onkel hatte für alle Tafeln simpel, aber gut zubereiten lassen; auch Wein und Bier floß reichlich, und es herrschte bald eine ungezwungne Fröhlichkeit unter allen Gästen.

Nach der Mahlzeit wurde getanzt. Dieses war zwar nicht nach dem Geschmack des jungen[223] Ehepaars, welches den Tag der Verbindung lieber in stiller Freude, ohne Geräusch, gefeyert hätte; aber sie mußten meinem Onkel nachgeben, der alles nach seinem Geschmack veranstalten wollte. Er selbst tanzte auch sehr rasch für seine Jahre mit der Braut und mit allen Weibern und Mädchen Menuet, und sah nachher mit vielem Antheil den englischen und schwäbischen Tänzen zu. Je lustiger es dabey zugieng, um desto mehr erfreute es den alten Mann, und er litt durchaus nicht, daß vor dem Anbruch des Morgens aufgehört wurde. Ein feyerlicher Kehraus mußte den ländlichen Ball schließen, und das junge Paar wurde von Anwesenden, unter Musik und Tanz, in das Brautgemach geführt. Einigemal rief mein Onkel mit gerührter Stimme aus: Wollte Gott, daß der alte Behrwald noch lebte, und daß ich ihm durch die Feyer dieses Tags vergelten könnte, was er an mir that![224]

Es müssen besondre Umstände unter ihm und dem Seligen vorgefallen seyn; denn er gedenkt seiner niemals, ohne daß Thränen in seine Augen steigen. Ich muß doch einmal nach der wahren Ursache forschen.

Künftigen Sonnabend bin ich bey Ihnen, meine Liebe, und hoffe in Ihrer Gegenwart mein Herz völlig zu heilen. Julien scheint meine Entfernung nahe zu gehen. Wenn sie mich ansieht, so dringt noch immer eine Thräne der Rührung in ihr Auge, und ich habe oft Mühe, die häufigen Ausbrüche ihrer Dankbarkeit zu unterdrücken.

Leben Sie wohl, Theuerste! Der Himmel gebe, daß Sie mit erheiterter Seele finden mag

Ihre

Sophie.[225]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 219-226.
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