Vierzigster Brief

Barthold an Eduard

[226] Ich bin noch auf meinem Zimmer, und kann nur durch die dritte Hand Nachricht von Ferdinand erfahren. Morgen aber hoffe ich von meinem Arrest befreyt zu werden. Wie ich vor Gericht meine Aussage gethan hatte, erstaunten alle. Der Prorektor sagte mir nachher beym Herausgehen: »Er bedaure, daß ihn die Gesetze abhielten, meinen Arrest aufzuheben. Er sey aber von meiner Unschuld in der Sache hinreichend überzeugt, kenne mich auch schon lange von einer guten Seite, und würde suchen, mir bald meine Befreyung zu verschaffen.«

Klinge wird wohl relegirt werden: auch fürchte ich, daß das Schicksal des armen Ferdinands schwerlich viel besser seyn wird; denn man straft den Zweykampf hier sehr strenge.

Eben bekomme ich einen Brief von Ferdinands Vater. Man hat ihm den Verlauf der[226] Sache geschrieben, nebst der unglaublichen Summe Schulden, die Ferdinand hier gemacht hat. Der dienstfertige Scribent hat, allem Ansehen nach, die Sache noch übertrieben, und das Betragen seines Sohns äußerst schwarz gemalt; denn der Alte scheint sehr aufgebracht. Du kennst ja seine unbändige Hitze, ob er gleich sonst der beste Mann und zärtlichste Vater ist. Er ist schwer zu reizen, und übersieht besonders die Fehler seines Sohns nur zu sehr. Ist er aber auch einmal aufgebracht, so kennt man in ihm den Vater nicht mehr. Er hat einen Brief an Ferdinand eingeschlossen. Ich möchte ihn fast zurück behalten; er dürfte den jungen Menschen zu sehr niederdrücken. Doch nein, er soll ihn haben. Vielleicht werden diese gehäuften starken Eindrücke desto besser dazu dienen, ihn auf immer vor Ausschweifungen zu sichern. Ich schreibe dir bald mehr.

Barthold.[227]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 226-228.
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