Vierundvierzigster Brief

Amalie an Wildberg

[241] Der verwünschte alte Geck nebst seiner hochweisen Frau Gemahlinn! Mir einen solchen Queerstrich durch meine Rechnung zu machen! Alle meine Plane sind vereitelt. Womit mag ich wohl das Schicksal beleidiget haben, daß es immer meine Absichten vernichtet, wenn ich der Erfüllung so nahe bin? Doch, wenn Sie mich verstehen sollen, muß ich Ihnen wohl eine umständlichere[241] Erzählung machen. Wir sind ja nun einmal durch sonderbare Umstände seit anderthalb Jahren vertraute Freunde geworden, und haben seit der Zeit keine Geheimnisse mehr für einander gehabt.

Ich schrieb Ihnen doch vor einiger Zeit von dem jungen Baron L. dem Vetter meiner gnädigen Frau. Er ist ganz gut gebildet, ist der einzige Erbe eines reichen Vermögens, hat nur gerade so viel Verstand, als er braucht, um dereinst den Befehlen seiner künftigen Frau Gemahlinn, ohne weitere Untersuchung und Widerrede, Folge zu leisten, ist also ganz der Mann, den ein Frauenzimmer von meiner Denkungsart sich nur wünschen kann. Dieser junge Herr also verliebte sich gar ernstlich in mich. Ich spielte die Spröde gegen ihn sehr gut, redete viel von Tugend und Ehre, ließ ihn mondenlang seufzen, ohne ihm die mindeste Hoffnung zu machen, und als seine Liebe nun auf dem höchsten Punkt getrieben war,[242] und er zu meinen Füßen kniend aufs dringendste um Erhörung flehte; da stellte ich mich auch gerührt. Ich bat ihn mit Thränen, mich zu verlassen, verwünschte den Unterschied des Standes, der das Hinderniß unsrer Liebe wäre, denn ich würde nie einem Manne mein Herz schenken, mit dem nicht priesterliche Einsegnung mich verbände. Zum ersten und letzten mal gestände ich ihm, daß er den tiefsten Eindruck auf mich gemacht hätte, aber ich beschwöre ihn, wenn er einige Zärtlichkeit für mich besäße, mich nie wieder zu sehen, und mich meinem unglücklichen Schicksal zu überlassen.

Diese Erklärung überwog bey einem so schwachen Kopfe, wie meines Barons seiner war, alle adelichen Vorurtheile. Er trug mir seine Hand an. Die Einwendungen, die ich zum Schein machte, wurden leicht gehoben, und es wurde eine heimliche Heyrath verabredet. Dieses hatte ich gewünscht. Er war der einzige Sohn einer[243] Mutter, und ihr Abgott. Waren wir einmal verehlicht, so hoffte ich sicher, daß seine Bitten und meine Schmeicheleyen die Alte erweichen würden. Dann war ich gnädige Frau – Sie wissen, Wildberg, daß ich den adelichen Stand sehr liebe – Besitzerinn eines Vermögens, mit dem ich nach meinen Phantasien schalten und walten konnte. Herrliche Aussichten! O warum mußten sie so vereitelt werden?

Meine einzige Sorgfalt gieng nun dahin, unser Verständniß bis nach der Trauung geheim zu halten. Vergebliche Vorsicht! Der Baron war nicht dazu gemacht, sich zu verstellen. Die gnädige Frau merkte Unrath. Sie ließ uns belauren; wir wurden behorcht, als wir eben von unsrer Verabredung sprachen, und sie erfuhr die ganze Geschichte. Man ließ sich gegen uns nichts merken, aber der gnädige Herr sandte einen heimlichen Boten an die alte Baronesse, und malte ihr in einem Briefe die Gefahr ihres Sohns so[244] groß ab, daß er Vollmacht von ihr erhielt, mit demselben alle die Maaßregeln zu nehmen, die er für die zuträglichsten halten würde. Ich mußte auf einen ganzen Tag mit der gnädigen Frau auf ihr Landgut reisen. Unterdessen nahm ihr Gemahl meinen Baron auf sein Zimmer, stellte ihm die schädlichen Folgen vor, die eine Heyrath mit mir haben würde, und redete zuletzt mit so viel Ernst, daß der furchtsame Tropf aufs feyerlichste versprach, auf immer von mir abzulassen. Der gnädige Herr, der schon vorher alle dazu nöthigen Anstalten getroffen hatte, sandte ihn nun noch denselben Tag an den Hof zu B. Ein erfahrner Hofmeister begleitete ihn, und hatte den strengsten Auftrag, ihn die zwey Monate seines dortigen Aufenthalts keinen Augenblick aus den Augen zu lassen.

Als wir am Abend zurückkamen, war der Baron fort, und Ihro Gnaden erläuterten mir nun gnädigst die ganze Sache. Diese Erläuterung[245] war nichts weniger als angenehm für mich, zumal da sie mit einigen ernstlichen Verweisen verknüpft war. Ich suchte mich, so gut ich konnte, zu entschuldigen, aber vergebens. Man erklärte mir, daß ich binnen acht Tagen das Haus verlassen sollte. So lange wollte man mir Zeit lassen, theils darum, damit niemand die wahre Ursache meiner Verabschiedung ahndete, theils auch, damit ich mich erst nach einer andern Stelle umsehen könnte.

Es bleibt mir also kein andres Mittel übrig, als wieder nach meiner Vaterstadt zurückzukehren. Ich werde denn freylich die Ursache meiner Wiederkunft ganz anders erzählen, als ich sie Ihnen geschrieben habe. Genug, daß mir der infame Vorfall äußerst fatal ist. Glauben Sie wohl, Wildberg, daß es mich jetzt sehr gereut, daß ich Albrecht nicht fester gehalten habe? Hätte ich mir nicht damals sichre Rechnung auf den Hauptmann von B. gemacht, wäre ich nicht,[246] als ihn sein Regiment nach S – s rief, um mit ihm in einer Stadt zu seyn, als Gesellschafterinn mit meiner gnädigen Frau gereist, so hätte wahrlich Albrecht niemals der empfindsamen Marie zu Theil werden sollen. Es ist wahr, man hatte ihm meinen Umgang mit dem Hauptmann verdächtig gemacht; seine Liebe zu mir war schon im Abnehmen; er hatte Marien in einer Gesellschaft gesehen; war – so drückte er sich damals aus – von ihrem vortrefflichen, reellen Geist und Charakter bezaubert worden. Aber, aller dieser mislichen Umstände ohngeachtet, wäre es mir doch ein leichtes gewesen, ihm seinen Verdacht zu benehmen, seine Liebe zu mir wieder anzufeuern, und ihm Marien als die abgeschmackteste Person vorzumalen, wenn ich nur gewollt hätte.

Ich Thörinn, daß ich nicht wollte, daß ich Titel und Rang einem guten Auskommen vorzog! Der undankbare Hauptmann. Wie schlecht[247] belohnte er meine Liebe! Doch ich mag an diese Dinge nicht denken, sie machen mich nur noch melancholischer. Ich lege Ihnen hier ein Zettelchen, in unsrer Sprache geschrieben, bey. Sie werden daraus sehen, daß mir daran liegt, die darinn enthaltnen Dinge vor meiner Abreise beantwortet zu sehen. Schreiben Sie also mir eiligst Nachricht darauf. Ich wünschte, daß Sie mir einen recht langen interessanten Brief schrieben, mit welchem ich mich in der Postkutsche amüsieren könnte; denn meine Reisegesellschaft wird sehr trauriger Art seyn.

A propos, Wildberg, es fällt mir eben ein, daß Sie selbst einmal stark von Marien angeschossen waren. Das ist doch, hoffe ich, längst vorüber, sonst würden Sie mir wohl meine Aeußerung von ihr nicht verzeihen. Ich möchte nur wissen, was das wimmernde, moralisirende Geschöpf Anzügliches für die Männer haben kann. Leben Sie wohl, und lassen Sie mich künftigen[248] Posttag nicht vergebens auf einen Brief warten. Ich glaube, es sind wenigstens acht Wochen, daß ich nichts von Ihnen sah und hörte.

Amalie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 241-249.
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