Fünfundvierzigster Brief

Wildberg an Amalien

[249] Ich nehme den größten Antheil an Ihrem Kummer, Amalie. Der Rückfall von der Baronesse zum bürgerlichen Mädchen mag nicht der angenehmste seyn. Sie hätten sich mit Ihrem jungen Herrn Baron hurtiger expediren sollen, ehe Ihnen die Alten in die Queer hätten kommen können. Daß die verschlagne Amalie nicht merkte, warum man mit ihr aufs Landgut reiste, wundert mich sehr.

Sehen Sie, dieser spöttische Ton – den ich gern noch weiter fortsetzte, wenn ich Sie nicht zu sehr zu beleidigen fürchtete – ist Wiedervergeltung[249] für das, was Sie mir von Marien schrieben. Ein Frauenzimmer kann so wenig von dem andern urtheilen, als der Blinde von der Farbe; denn ihre Augen, so hell sie auch sonst sehen mögen, werden in diesem Fall immer von einerley Leidenschaften geblendet. Also wundert es mich gar nicht, Sie über Marien spotten zu hören. Um eben so aufrichtig zu seyn, wie Sie, muß ich Ihnen auch offenherzig gestehen, daß ich oft über mich selbst spotte, und nicht begreifen kann, wie es möglich ist, daß ich ein Frauenzimmer von Mariens Art schon seit so langer Zeit mit der größten Heftigkeit liebe, daß ich auch noch jetzt – ob ich gleich aufs bitterste von ihr beleidigt bin, ob ich gleich in meinem Herzen ihr die stärkste Rache schwur – dennoch zu Zeiten ihren Besitz wünschen kann.

Albrecht ist verreiset. Er trug mir auf, während seiner Abwesenheit oft zu seiner Frau zu gehen. »Sie wäre seit einiger Zeit sehr melancholisch,[250] ich möchte doch suchen, ihren Kummer zu erforschen und zu zerstreuen; denn das weinerliche Wesen hasse er bis in den Tod.«

Der Tropf! Er wußte nicht, daß er den Bock zum Gärtner machte, und daß es gewiß nicht an mir lag, wenn er ohne Hauptschmuck von seiner Reise wiederkehrte. Ich benutzte die Gelegenheit Marien zu sehen sehr häufig. Ich sparte keine Bitten, keine Schmeicheleyen, sogar wußte ich Thränen aus meinen Augen zu pressen. Alles umsonst. Sie war taub gegen meine Bitten, hörte mit verächtlichem Blick meine Schmeicheleyen, und blieb bey meinen Klagen und Thränen fühllos. Dieser Widerstand erhitzte mich nur noch mehr. Als mein Flehen nichts half, versuchte ich Gewalt. Ich wollte sie in meine Arme schließen. – Sie saß auf einem Kanapee, welches mir auch noch zu andern Liebkosungen bequem schien, zu denen ich bey ihr hinaufzusteigen hoffte; – aber, hilf Himmel, mit welch[251] einem Wesen riß sie sich los! Sie gab mir – kaum kann ich vor Wuth diese verdammten Worte schreiben – eine Ohrfeige und gieng aus dem Zimmer. Beynahe schäumend gieng ich fort, und schwur mich zu rächen, es koste auch was es wolle. Und diesen Schwur will ich halten. Dieß ist die erste Ohrfeige, die ich bekam, und du sollst sie theuer büßen. Zorn und Rache haben meine Liebe überwältigt. Du sollst sehen, was Wildberg vermag, wenn man ihn aufbringt!

Ich habe da so einen Plan, Amalie, der Sie auch mit angeht. Wir wollen mündlich davon reden. Sie werden aus der Beylage sehen daß ich es aus Ursachen für besser halte, wenn Sie sich eine halbe Viertelstunde von der Stadt bey der Wittwe A. eine Wohnung miethen. Dieß ist wirklich weit besser als in der Stadt selbst, und erweckt Ihnen, außer den Ihnen bekannten Gründen, weit besser den Ruf einer[252] anständigen eingezognen Lebensart; denn da Ihre Tante todt ist, können Sie doch, als ein lediges Frauenzimmer, nicht mit Anstand eine Wohnung hier beziehen.

Ich werde Ihnen eine Stunde weit entgegen kommen, und freue mich sehr, Sie wieder zu sehen. Ich bin heute gar nicht in der Laune einen langen Brief zu schreiben, glaube auch übrigens, daß Ihre eignen Gedanken weit mehr vermögend seyn werden, Sie auf Ihrer Reise zu beschäftigen, als mein Brief.

Der Ihrige

Wildberg.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 249-253.
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