Dreyundvierzigster Brief

Eduard an Barthold

[231] Ein solches schreckliches Ende der Begebenheit unsers Ferdinands hätte ich nicht erwartet. Ich war ganz außer mir, als ich deinen Brief zuerst las. Armer Jüngling! Hättest du dir im Anfange[231] diese harten Folgen deines Fehlers vorgestellt! Gewiß, du hättest die Bahn der Tugend und des Fleißes nie verlassen. Wer weiß, wo er jetzt umher irrt, ein Raub der Verzweiflung! O daß doch sein unglückliches Beyspiel allen zur Warnung dienen möchte, die, unbesonnen wie er, den ersten Schritt zum Laster thun! Möchten sie doch vom Rande des Abgrundes zurückschaudern, vor dem sie stehen, und aufs neue Tugend und Fleiß liebgewinnen!

Gestern war auch noch in anderer Rücksicht ein angstvoller Tag für mich. Du kennst meine Lage. Ich war meinem Vorsatze treu geblieben, hatte Karolinen gemieden. Dieses bewirkte eine gewisse Melancholie in ihrem Wesen, die ihren Reiz sehr vergrößerte. Auch ich war stets in einer ängstlichen Lage bey ihr, und konnte meine Unruhe nicht ganz verbergen.

Ihr Onkel, der sie sehr zärtlich liebt, bemerkte bald die Veränderung, die mit ihr vorgieng;[232] auch meine Unruhe entwischte seinem scharfen Auge nicht. Er glaubte, daß unsre Liebe gegenseitig sey, und daß ich zu furchtsam wäre, die meinige zu gestehen. Er hat viel Neigung für mich, und wünschte unsre Verbindung, ob gleich Karolinens Schönheit und Vermögen auf die glänzendste Parthie Anspruch machen können.

Ich merkte wohl, daß er gestern Mittags etwas auf dem Herzen hatte. Nach einigem Räuspern fieng er nach Tische an:

»Sie haben nun lange genug dem Posten eines Sekretairs mit Fleiß und Treue vorgestanden. Ihre Geschicklichkeit macht Sie einer andern Versorgung werth, in der Sie Ihre Talente besser und thätiger nützen können. Die ** Stelle ist jetzt an unserm Kollegio offen. Unser Fürst hat mir aufgetragen, ein Subjekt dazu vorzuschlagen. Ich weiß keinen jungen Mann, der fähiger wäre sie gut zu bekleiden, als Sie. – Aber ich sehe, daß Sie stutzen. Ich kenne Ihr[233] feines Gefühl in solchen Sachen. Ich denke aber, es wird sich beruhigen, wenn ich Ihnen versichre, daß ich diesen Vorschlag nicht zuerst geäußert habe, sondern daß einige würdige Männer gleich auf Sie fielen. Sie können also diese Stelle sicher annehmen, ohne den Vorwurf zu befürchten, als hätte ich sie Ihnen verschafft. Auch andre Wünsche Ihres Herzens sind mir nicht unbekannt, liebster Sohn.«

– (so nennt mich der würdige Alte gewöhnlich –)

»Ich habe schon lange Eure Neigung bemerkt. Ich werde Eurer Liebe kein Hinderniß in den Weg legen. Meinen Segen und meine Einwilligung gebe ich euch von Herzen. Ihr seyd eines des andern werth.«

Die sanfteste Purpurfarbe bedeckte Karolinens Wangen. Meine Augen begegneten den ihrigen, und verschämt senkte sich ihr Blick zur Erde. Meine Verlegenheit war unbeschreiblich.[234] Und hätte nicht die Liebe selbst Mariens Namen mit den feurigsten Zügen in meine Seele geschrieben, ich wäre überwältigt worden, hätte das liebenswürdige Mädchen in meine Arme gedrückt. Aber ein Gedanke an die Erstgeliebte meines Herzens vernichtete schnell alle die Eindrücke, die des Mädchens Liebreiz und des Alten Güte auf mich machten.

»Karolinens Herz ist ein unschätzbares Kleinod – sprach ich gerührt – aber es muß nur einem solchen Besitzer zu Theil werden, der es nach seinem ganzen Umfang zu schätzen weiß, bey dem es unumschränkt regiert. Karoline muß in der Seele ihres künftigen Gatten ohne andre Nebengötzen herrschen. Ich verehre mit tiefer Werthschätzung die trefflichen Eigenschaften, die sie zu einem so liebenswürdigen Gegenstande machen, aber meine Liebe gehört schon seit mehreren Jahren einem Frauenzimmer, die auch eine der würdigsten ihres Geschlechts[235] ist. Ohngeachtet dieser Verbindung blutet mein Herz, die Güte eines so ganz verehrungswürdigen Mannes, und den Besitz des liebenswürdigsten Mädchens ausschlagen zu müssen, der – wäre meine Marie nicht auf der Welt – meine kühnsten Wünsche übersteigen würde. Entschuldigen Sie mich, ich bin zu bewegt und muß in der Einsamkeit mich zu fassen suchen. Glauben Sie, daß ich die ganze Größe des Opfers fühle, welches ich Marien bringe.«

Ich gieng hinaus, und sah Todtenbläße auf Karolinens Wangen. Mein Herz blutete für sie; ich sank betäubt auf eine Rasenbank.

»Wie, wenn Marie einen andern Geliebten – – –«

Ich zitterte, mochte den Gedanken nicht weiter denken. Nein, es ist unmöglich. Schöne Seele! die du nur Zärtlichkeit für mich athmetest, du bist mir treu, du liebst mich noch! Vergieb mir, angebeteter Abgott meines Herzens, vergieb[236] deinem Eduard diesen Zweifel. Nie komme ein ähnlicher wieder in meine Seele. Aber ich muß von hier abreisen. Es sey morgen.

Das war der Entschluß, den ich nach einer quaalvollen Stunde endlich faßte. Der geheimde Rath kam mir entgegen.

»Können Sie mir verzeihen, theuerster Mann?

»O! reden Sie nicht von Verzeihen, lieber Eduard! Ich verehre Ihre Treue gegen Ihre Geliebte. Aber warum waren Sie so geheim mit Ihrer Geschichte? Hätte Karoline Ihre Lage gewußt, so würde sie ihr Herz vor dem Eindruck der Liebe bewahrt haben; auch ich hätte dann ihre aufkeimende Neigung gleich anfangs erstickt.«

»Wenn meine Unvorsichtigkeit traurige Folgen für Karolinens Ruhe haben sollte, so würden mich diese Vorwürfe ewig quälen; aber ich fürchte nicht, daß mich der Himmel so hart strafen wird.«[237]

»Ich fürchte für ihr empfindliches Herz. Doch, Mädchenliebe kömmt und geht. Ich hoffe, daß auch meine Nichte sich in die Umstände wird zu finden wissen. Aber dieser verunglückte Plan hebt meinen ersten Entwurf nicht auf. Ich trug Ihnen die Bedienung nicht an, um dem Gatten meiner Nichte eine Versorgung zu verschaffen, sondern um den Platz mit einem Mann zu besetzen, dem ich die Geschicklichkeit zutraue, ihm gut vorzustehen.«

Ich wurde von seinem Edelmuth durchdrungen, und erzählte ihm aufrichtig die ganze Geschichte, meine vorhabende Reise, und die Schwierigkeit, daß Marie mir hieher folgen würde. Er schüttelte den Kopf:

»Lieber Sohn, Sie können vielleicht glauben, daß die Liebe zu meiner Nichte mich so reden läßt, aber ich kann es Ihnen nicht bergen: Ihr Entschluß scheint mir unüberlegt. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Sie ein Mädchen,[238] von dem Sie in drey Jahren nichts hörten, noch treu, noch auf sich wartend finden werden.«

»Sie kennen die standhafte Seele meiner Marie nicht. Unsre Liebe war kein Bündniß des Eigennutzes, oder sinnlicher Triebe; es war die Vereinigung zweyer Seelen, die es fühlen, daß sie ganz Eins sind, daß keins ohne das andre leben kann, ohne sich von sich selbst getrennt zu glauben.«

»Hätte ich Ihnen doch nicht so viel Empfindsamkeit zugetraut« – (sagte er mit einem Lächeln, das bey jedem andern mich würde beleidigt haben, bey ihm aber schmerzte es mich bloß –) Es wäre grausam, Sie von Ihrem Vorsatz abzuhalten. Reisen Sie ab, sobald es Ihnen beliebt, und ich wünsche aufrichtig, daß Sie die Gebieterinn Ihres Herzens Ihren Wünschen getreu finden mögen. –«

Ich antwortete bloß mit einer Verbeugung, und eilte auf mein Zimmer, voller Schmerz,[239] mich so von ihm verkannt zu sehen; denn dieses mußte ich aus dem zweydeutigen Ton und Gesichte schließen, mit dem er die letzten Worte sagte. Mags doch seyn! Es verkenne mich die ganze Welt, beurtheile meine Handlungen falsch, nenne mich immerhin einen empfindsamen Schwärmer; ein Blick von dir, meine Marie, wird für das alles mich schadlos halten. Was kümmert mich die Welt mit allen den kalten fühllosen Menschen, die drauf herum wandeln? Wenn du nur mich liebst! Wenn nur eine Thräne von dir meine treue Liebe segnet, so bin ich unaussprechlich glücklich!

Ich werde morgen in aller Frühe hier abreisen, ohne Karolinen zu sehen. Eine Zusammenkunft würde uns beyde verlegen machen. Möchte doch das gute Mädchen ihr Herz beruhigen, und einen andern Gegenstand finden, der ihre Liebe besser zu schätzen weiß als ich![240]

Der Gedanke, nun bald meine Marie wieder zu sehen, bringt mein ganzes Wesen in Wallung. Wäre ich nur erst bey dem himmlischen Geschöpfe! Wie unerträglich langsam werden mir die Tage während der weiten Reise schleichen! O! gienge sie so schnell wie meine Wünsche: so läge ich schon jetzt zu ihren Füßen.

Eduard.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 231-241.
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