Achtundvierzigster Brief

Julie an Sophien

[276] Könnte ich Ihnen doch alle Empfindungen meines Herzens gegen Sie schildern, Theuerste! Welch ein lebhaftes Gemälde der innigsten Liebe und Dankbarkeit würden Sie dann bekommen! Allein so haben Sie allzugroßmüthig sogar den Ausbruch dieser Empfindungen in meinen Briefen mir untersagt, und ich muß mich Ihren Befehlen unterwerfen. Aber in der stillen Einsamkeit, oder bey dem Gefühl, daß wir jetzt unaussprechlich glücklich sind, segnen wir gemeinschaftlich die edle Sophie, die Schöpferinn unsers Glücks. Karlsheims Herz hat sich ganz wieder zu mir geneigt; er ist der zärtlichste, beste Gatte gegen mich, und unsre Ehe wird gewiß immer glücklich bleiben.

Ich bin hier noch nirgends zum Besuch gewesen. Wir wollen erst die häufigen Stadtgespräche[276] über uns etwas verrauchen lassen, und alsdann unsern Umgang doch nur auf sehr wenige einschränken. Ich bin gar nicht für große Gesellschaften und Zerstreuungen, sondern finde mehr Vergnügen daran, die stillen Pflichten der Mutter und Hausfrau zu erfüllen, und in meinem häuslichen Kreise das Glück meines Lebens zu finden.

Karlsheim denkt hierinn mit mir einstimmig. Die rauschenden Freuden der großen Welt haben auch für ihn keinen Reiz. Wenn ihm von seinen Geschäften Zeit übrig bleibt, so mag er sie lieber zu einsamen Spaziergängen anwenden, auf welchen wir nur von unserm kleinen Gustav begleitet werden. Alsdann gehen wir auf einem schönen Wege nach einem etwas entlegnen Dorfe, wo wir bey einer Schaale Milch oder einem andern ländlichen Gerichte, im Schatten einer dunkeln Linde verzehrt, königlich vergnügt sind. Unterwegs unterrichtet mich mein[277] Mann in der Naturgeschichte und andern solchen Kenntnissen, die mir nothwendig sind, um meinem Vorsatze gemäß die Erziehung meines Knaben so lange als möglich allein zu besorgen. In dieser Rücksicht danke ich es meinem Vater, daß er mich in allerley Dingen unterrichtete, die man sonst nur dem männlichen Geschlechte beyzubringen pflegt; was ich davon vergaß, werde ich durch Lesen zweckmäßiger Bücher nachzuholen suchen.

Leben Sie wohl, beste, edelmüthige Freundinn! Ich wünsche, daß Ihre Bemühungen, Ihre leidende Marie zu beruhigen, von dem besten Erfolg seyn mögen. Karloheim küßt Ihnen ehrerbietigst die Hand.

Julie Karlsheim.[278]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 276-279.
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