Achter Brief

Marie an Sophien

[52] Ich nehme den lebhaftesten Antheil an allem, was Ihnen begegnet, und der Kummer meiner Sophie geht mich so nahe an, als mein eigner. Aber verzeihen Sie mir, liebe Freundinn, noch scheinen Sie mir keine gegründete Ursache zum Klagen zu haben. Vielleicht ist Karlsheim verreist, und sehnt sich aufs stärkste nach Ihnen zurück; vielleicht auch verhindert ihn eine Unpäßlichkeit, Sie zu besuchen, oder doch andere wichtige Ursachen. Nach dem, was Sie mir von ihm geschrieben haben, scheint er mir nicht der Mann zu seyn, der Liebe[52] gegen ein Mädchen erkünstelt, um ihrer zu spotten. Ich halte ihn zwar für etwas weich – vielleicht zu weich – für fähig schnell Eindrücke zu empfangen; aber Ihre Bekanntschaft mit ihm ist doch noch zu neu, als daß sein Herz schon Ihrer satt seyn könnte, wenn er wirkliche Liebe gefühlt hat, und dieß sein Betragen gegen Sie schien doch von Liebe zu zeugen. Doch vielleicht liegt schon der wiederkehrende Karlsheim zu Ihren Füßen, hat schon Vergebung seines langen Außenbleibens von Ihnen empfangen, während daß ich sitze und lauter Vermuthungen über eine Sache Ihnen schreibe, die er selbst bereits Ihnen erläutert hat.

Mein kleines Lieschen bessert sich mit jedem Tage. Heute war sie zum erstenmal aufgestanden, und kam auf ihren schwachen Füßchen in mein Zimmer. Ich hatte ihr ein neues Kamisol und Röckchen von Catun machen lassen,[53] nebst Wäsche und allem, was sonst dazu gehört. Sie sah recht artig darinn aus, und blickte einigemal mit einem ziemlich wohlgefälligen Blick in den Spiegel. Ich nahm daher Gelegenheit, mit ihr zu reden, und ihr Gefühl ihres verbesserten Zustandes zur Dankbarkeit gegen Gott zu leiten. Bey dieser Unterredung sah ich zu meiner größten Freude, daß sie ein Herz besitzt, jedes Eindrucks zum Guten fähig, und daß sie auch einen guten Verstand hat. Ich werde sie selbst im Lesen und in den faßlichsten Lehren des Christenthums unterrichten, auch werde ich sie weibliche Arbeiten lehren.

Christianen habe ich bey der guten Inspektorinn F. als Kindermagd untergebracht. Lieschens gottlose Mutter ist auf Zeitlebens ins Zuchthaus gebracht, weil sich Zeugen fanden, die sie selbst den unmenschlichen Vorsatz haben äußern hören, das Kind umzubringen, wenns[54] nicht bald sterben wollte. Der Mann, weil er dieß wußte und nicht ernstlich verhinderte, ist auf zwey Jahre zum Karrenschieben verurtheilt.

Ich kann Gott nicht genug danken, daß er uns zu Werkzeugen wählte, diesen scheuslichen Plan zu zerstören. Es giebt doch keine reinere Freude hienieden als die, eine gute nützliche Handlung verrichtet zu haben. Dieß ist das seligste aller Gefühle. Es zeugt von der Weisheit des Schöpfers, daß er auch hier schon einer jeden guten Handlung, durch die herrliche innre Zufriedenheit, die sie mit sich selbst führt, ihre Belohnung gab.

Ich muß hier abbrechen, liebste Sophie. Ich hoffe nächstens einen Brief voll fröhlicher Nachrichten von Ihnen zu erhalten. Glauben Sie sicher, meine Beste, daß niemand auf der Welt so lebhaft alles das mitfühlt, was Sie[55] betrifft, und innigere Freundschaft gegen Sie hegt, als

Ihre ganz eigne

Marie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 52-56.
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