Neunter Brief

Sophie an Marien

[56] O Marie, wie unglücklich bin ich! von welchen Quaalen, sonst nie gefühlt, wird mein Herz zerrissen! Er ist für mich verloren, der falsche, niedrige Verräther! O, daß ich je seine verführerischen Reden anhörte, seine Blicke mit Wohlgefallen gierig verschlang! Doch ich will mich fassen, ich will Ihnen die ganze schändliche Verrätherey schreiben; hören Sie nur an!

Diesen Morgen besuchten mich die beyden Demoiselles Ebard. Nach einigen Gesprächen von nichtswürdigen Kleinigkeiten kam man auf Karlsheim. Ich zitterte beynahe, als sein Name[56] genannt wurde, und mußte alle mögliche Mühe anwenden, das heftige Schlagen meines Herzens, und den Wechsel meiner Farbe zu verbergen.

Lotte Ebard. »Nein, Minchen, das muß man ihm lassen, er ist ein hübscher Junge, und weiß sich recht gut zu betragen.«

Minchen E. »Das mag alles seyn, es ist und bleibt immer ein dummer Streich von ihm, daß er sich sogleich verplempert hat.«

Ich. (In größter Verlegenheit) »Verplempert? Und mit wem denn?«

Lotte E. »Mein Himmel! Wissen Sie denn wirklich noch nicht, daß er Louisen Dalberg die Cour macht? Das ist ja stadtkündig. Gestern ist die Verlobung gewesen, sagte mir mein Friseur. Sie haben einen großen Schmaus gehabt. Man meynt, der alte Dalberg hätte Karlsheim durch seinen Gönner, den Geheimden Rath von S, seine Bedienung verschafft,[57] und da wäre denn die Heyrath so ausgemacht. So gar übel ist das Mädchen freylich eben nicht, wenn sie nur – – –«

Minchen B. »Ach! schweig mir doch von dem Affengesichte. Er hätte wahrhaftig können viel beßre wählen. (Hier warf sie einen sehr zuversichtlichen Blick in den Spiegel.) Das Mädchen hat ja gar keinen Teint, so gelb wie eine Zigeunerinn, und dann die kirschrothen Backen. Wahrhaftig, sie sieht so gesund aus, wie eine Bäuerinn. Man hört sie auch nie über Kopfweh, Nervenschwäche und dergleichen klagen, wie es doch jetzt bey uns der gute Ton erfordert. Denken Sie einmal an, Sophie, wie ich mich neulich über den Affen ärgern mußte. Es lief mir eine Spinne über den Hals. Sie wissen, welch einen Ekel ich vor diesen Thieren habe. Ich schrie, wie ich sie sah, und war einer Ohnmacht nahe. Herr von Grün sprang mir zu Hülfe, indem er aber[58] in ein anderes Zimmer gieng, um seinen Flacon zu holen, sagte mir Lou ise sachte:

›Pfui, Kind, zieren Sie sich doch nicht so; solche Dinge schaden uns in der Achtung der Mannspersonen, und machen unserm Verstande keine Ehre. – War das nicht die ärgste Grobheit? Und was noch das Aergste ist, oft spricht sie in Gesellschaft wie das Buch der Weisheit selbst, ohne daß jemand sie dazu auffodert.‹«

Lotte. »Da sagst du nun auch nicht die Wahrheit, Minchen. Das muß man Louisen lassen, sie spricht wenig, und nicht leicht anders als wenn – – – –«

Hier unterbrach Minchen, durch ihrer Schwester Widerspruch höchst aufgebracht, sie voller Hitze. Doch, Marie, was sollte ich Sie und mich durch solche Sachen noch länger ermüden? Sie haben aus diesem Gespräch Louisen gewiß schon kennen gelernt. Karlsheims Geliebte! Karlsheims[59] Braut! O Gott, wie quält mich der Gedanke! Der Falsche, wie zärtlich that er nicht! Seine Blicke waren so voller Ausdruck, der Ton seiner Sprache so sanft, wenn er mit mir redete O wenn ich noch dran denke, wie ich zuerst ihn sah, wie er so vor mir stand – aber warum denke ich noch an den Ungetreuen? Ich will ihn hassen, verabscheuen, und mit ihm sein ganzes Geschlecht. O! hätte ich das geglaubt, daß meine erste Liebe so unglücklich seyn würde, ich hätte sie geflohen, wie den Tod. O Marie, könnte ich mich doch des Gedankens an ihn entschlagen! – Schlafen Sie wohl, Theure. Diese Nacht wird, so wie die vergangnen, schlaflos seyn für Ihre

Sophie.[60]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784, S. 56-61.
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