Hundertster Brief

Amalie an Wildberg

[256] Wenn Sie diesen Brief erhalten, so bin ich schon weit von hier. Denn, unsrer Freundschaft ohngeachtet, hätten Sie es doch vielleicht nöthig erachtet, meinen Plan zu zerstören, damit Albrecht nicht zu früh Ihre Kartenmischung wahrnähme. Mir aber werden Sie verzeihen, daß die Selbstliebe bey mir über die Freundschaft siegte. Ich glaubte in der That keinen Beruf zu[256] haben, Ihnen zu Gefallen mein Leben in einem finstern Zimmer, von aller Welt abgesondert, zuzubringen. Sie werden die Geschichte mit mir und Albrecht wohl schon wissen. Der Pinsel! Es ist ja jetzo nach dem großen Ton, seine Galane zu haben. Muß sich ein tölpischer Mann da hineinmischen? Ich dächte es wäre gut für ihn, wenn seine Frau Leute hätte, die ihren Putz und andre Ausgaben besorgten, ohne daß er den Beutel zu ziehen brauchte. Aber, ohngeachtet seines filzigen Geizes, der so weit gieng, daß er bey jedem Groschen, den er ausgab, seufzte, dachte Albrecht doch so kleinstädtisch, daß er die Sache unrecht verstand. Das Unthier unterstand sich, mich zu schlagen – (es kränkte mich am meisten, daß ich mich an dem Elenden nicht rächen konnte –) und einzusperren, und gab mir die feste Versichrung, daß ich nie wieder aus diesem Gefängnisse kommen sollte.[257]

Ich war nur zu sehr überzeugt, daß er Wort halten würde, und hatte gar keine Neigung, in einem finstern Loche zu versauren. Ich sah gleich ein, daß das beste Mittel, mich zu befreyen, eine Flucht mit Bredon sey. Diesem also schrieb ich so beweglich, als ich nur konnte, ein letztes Lebewohl. Meine treue Louise, die glücklicher Weise ausersehen war, mir das Essen zu bringen, brachte ihm meinen Brief, heulte ihm viel von meinem Elend vor, und als er denn recht weich war, und meinen Verlust bejammerte, that sie ihm, als wäre es ein plötzlicher Einfall von ihr, den Vorschlag, mit mir zu entfliehen. Er fieng gleich Zunder, und die listige Hexe wußte ihre Sache so gut zu machen, daß sie ein ansehnliches Geschenk von ihm bekam; denn sie überredete ihn, daß es viele Mühe haben würde, mich zur Einwilligung in diesen Entschluß zu bewegen. Ich machte zum Schein viele Schwierigkeiten, und ließ mich auch nur unter sehr vortheilhaften[258] Bedingungen zu dieser Flucht bewegen. Bredon, der eben so verliebt als reich ist, gieng alles ein, und wir reisen nun in einer Stunde mit Louisen ab.

Ich melde Ihnen dieses, damit Sie sich so gut als möglich aus der Sache wickeln können. Denn wenn Albrecht jetzt schon Ihre Verrätherey in Punkto Mariens merkte, so würden vermuthlich alle Ihre Plane auf sie vereitelt werden. Hören Sie, Wildberg, ich kann nicht unterlassen Ihnen noch einmal meinen letzten freundschaftlichen Rath zu geben – es kann ja seyn, daß wir einander doch noch einmal brauchen: – Lassen Sie die Tugendheldinn fahren. Sie sind ein gescheidter Kopf, und es wäre Schade um Sie, wenn Sie sich mit der Närrinn verbänden. Und es ist ja gar nicht einmal daran zu denken, daß sie jemals Ihre Liebe begünstigen wird. Die Grillen von übertriebner Feinheit, mit denen ihr Kopf angefüllt ist, lassen das nicht[259] zu, und Sie sehen ja deutlich, daß die Stolze Sie verachtet.

Doch ich habe Ihnen diese Leyer schon so oft fruchtlos geleyert, und fürchte fast, daß Sie in diesem Punkte nicht klüger zu machen sind. Leben Sie wohl. Ich denke, wir werden ja noch immer Freunde bleiben; also werde ich Ihnen mit nächster Post melden, wohin Sie Ihre Briefe zu addressiren haben. Ich bleibe wie immer

Ihre

Freundinn

Amalie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 256-260.
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