Neunundneunzigster Brief

Bredon an Amalien

[254] Nein, theuerste Amalie, Du sollst nicht, von mir getrennt, unter den Händen eines Ungeheuers sterben. Die Trennung von Dir ist mir schrecklicher als der Tod! Komm, Geliebte, entflieh[254] mit mir dem verhaßten Tyrannen, wir wollen in mein Vaterland zurückkehren, wo nichts unsre Liebe stören soll. Ich kann ohne Dich nicht leben, und muß Dich besitzen, sollte ich auch Deinen Besitz mit Blut erkaufen!

Louise sagt mir, daß ein Fenster aus Deinem Zimmer in den Garten geht. Ich will mit ihrer Hülfe diese Nacht durch die Gartenthür herein steigen, und eine Leiter an Dein Fenster setzen. Dann kömmst Du auf mein gegebnes Zeichen herunter in meine Arme. Wir eilen aus der Stadt. Vor dem Thore soll ein Wagen mit raschen Pferden unser warten, und uns aufs schnellste aus der verhaßten Gegend in ein Land bringen, wo kein Hinderniß sich gegen unsre treue Liebe auflehnt. Bedenke Dich nicht, mir zu folgen, meine Liebste. Du sollst das angenehmste Leben und eben so unumschränkte Macht über das Vermögen Deines Bredons haben, wie Du über sein Herz hast. Du weißt, daß ich der einzige[255] Erbe eines großen Reichthums bin. Hier ist ein Wechsel auf tausend Pfund, wenn Du vielleicht noch Ausgaben vor Deiner Flucht zu bestreiten hättest. Gieb mir doch Nachricht, um welche Stunde zu Dir kommen soll

Dein

getreuster Verehrer

Bredon.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 254-256.
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