Zweyundfunfzigster Brief

Wildberg an Amalien

[3] Ich schreibe Ihnen, halb rasend vor Wuth und Eifersucht. Die fromme Marie! Gegen mich schwatzt sie von lauter Tugend und Pflicht, und unterhält dabey einen geheimen Briefwechsel mit ihrem ehemaligen Liebhaber! Teufel und Hölle! ich darf es nicht wagen, ihre Hand zu berühren, und der elende Kerl schreibt ihr die zärtlichsten Liebeserklärungen, und bekömmt eben solche von ihr! Aber ich werde mich rächen. Zittre, du Schwachkopf! Wildberg hat schon einmal Eure Plane vernichtet; er wirds wieder thun.[3]

Ich habe ein Mädchen, das bey Marien dient, mit Gelde bestochen. Diese nun sagte mir, daß ihre Frau oft Papiere läse, und dann ganz tiefsinnig säße und weinte. Ich versprach ihr einen Dukaten, wenn sie mir das Papier brächte. Susanne ist ein listiges Mensch, und zog ihr einst des Morgens beym Anziehen ein Blatt aus der Tasche, die sie ihr holen mußte. Und nun denken Sie meine Wuth, als ich es las. Es war der Schluß eines Briefs, und lautete folgendermaaßen:


»Ich muß aufhören zu schreiben, Inniggeliebteste, und doch ist mein Herz noch so voll; ich sehe auch, daß es unmöglich ist, diesem Blatt das Feuer mitzutheilen, das für dich hier in meiner Brust lodert. O! warum kann ich nicht zu dir hinfliegen, und noch einmal zu deinen Füßen den Taumel der Wonne fühlen, in welchem meine Seele dahin floß? Lebe wohl, Abgott meines Herzens. Ewig werde ich dich so heiß, so[4] unaussprechlich lieben, als jetzt. Ich fühle es, daß mein Geist geschaffen ward, um mit dem deinigen verbunden zu seyn. Keine Zeit, selbst nicht die Ewigkeit, soll dein geliebtes Bild mir entreißen. Noch im Reiche der Schatten werde ich ganz so wie jetzt, nur noch mit veredelterer Liebe – wenn das möglich ist – der Deinige seyn.

Eduard.


N. S. Melde mir doch, wenn ich dich sehen kann. Wäre es auch des Nachts. Du kennst ja meine Ehrfurcht gegen dich, Geliebte!«


O! wie wohl ist mirs, daß ich dich habe, verdammtes Blatt! Du sollst ihr Verderben seyn. Ich möchte nur wissen, auf welche Art sie unsre falsche Karte entdeckt haben. Doch davon wissen Sie nichts, Amalie! Aber ich weiß, daß Sie – gegen die Gewohnheit Ihres Geschlechts – schweigen können. Sie sollen also erfahren, was –[5] so glaubte ich wenigstens; verdammt sey der alte Tropf! er muß vor seinem Tode geplaudert haben, woher wüßten sie es sonst? – was außer mir keine Seele weiß. Wir haben ja mehr Geheimnisse von einander in Verwahrung. Also mag dieses auch noch hinzukommen.

Als Mariens Vater starb, wurde ihrem Onkel die Vormundschaft über sie aufgetragen. Der alte Geck war schon lange in das Mädchen verliebt gewesen; aber die Uneinigkeit, in der er mit ihrem Vater lebte, hatte ihn gezwungen, seine Neigung heimlich zu halten. Er war froh, durch den Tod des Alten dieses Zwangs entledigt zu seyn, als zu seinem großen Schrecken die Mutter ihm die Verbindung ihrer Tochter mir Eduard entdeckte. Er sah, wie fest das Mädchen an ihrem Geliebten hieng, und wie hoch auch die Mutter den jungen Menschen schätzte. Er wußte die Sache nicht anzugreifen, – das viele Denken war seine Gewohnheit nicht, und[6] wenn er einmal dachte, so war es doch nie etwas gescheidtes – entdeckte sich also mir; denn er hatte ein großes Vertrauen zu meiner Klugheit und Treue gegen ihn. Ich wohnte bey ihm und hatte mich immer bey ihm fest zu setzen, und mir sein Zutrauen zu erwerben gewußt, weil es mir damals an Gelde gebrach, und er desselben überflüßig hatte. Auch mir leuchtete Marie schon damals sehr in die Augen, und ich hatte schon so allerley Absichten auf sie. Um desto mehr erschrack ich, denn ihre Amour mit Eduard war mir ganz unbekannt.

Ich stimmte also gleich darinn ein, daß man die Verbindung mit Eduard zerstören müßte, aber wahrhaftig nicht um das schöne Mädchen dem alten Knaster zu Theil werden zu lassen, sondern um sie zum Lohn für mich selbst davon zu tragen. Er war seit kurzem von hier abgereiset, und nun gieng also unsre erste Sorge dahin, seine Briefe unterzuschlagen. So ließen[7] wir eine geraume Zeit verstreichen, ohne daß sie etwas von ihm hörte. Ich trug auch Sorge zu verhindern, daß sie keine Briefe an ihn senden konnte. Meine genaue Bekanntschaft mit dem Postsekretair, und des Alten Geld – es versteht sich, daß auch ich meinen Schnitt dabey machte – erleichterten mir dieses.

Und welche Briefe waren das! Wie beneidete ich den Kerl um die Liebe eines solchen Mädchens! – Sehen Sie so sauer als Sie wollen. Amalie. Marie war damals die Krone unsrer Stadt. – Ich hätte mein Leben hingegeben, wenn einer ihrer Briefe an mich gerichtet gewesen wäre.

Mit wüthender Eifersucht im Herzen lief ich wie unsinnig umher. Nach und nach faßte sie einige Zweifel gegen seine Liebe; oft hielt sie ihn auch für todt. Dieses letzte mußte ihr Oheim widerlegen; ich ließ ihn überhaupt ihre Zweifel künstlich nähren, und endlich durch falsch geschmiedete[8] Briefe seine Untreue so gewiß beweisen, daß sie wider ihren Willen davon überzeugt wurde. Nun hätten Sie ihren Jammer sehen sollen. Ich mußte ihren Anblick vermeiden, um nicht durch ihren Schmerz äußerst gerührt zu werden; denn damals war ich solcher Eindrücke noch nicht so gewohnt, und nicht so abgehärtet dagegen, wie jetzt.

Nach Verlauf eines Vierteljahrs starb ihr Onkel an einem Schlagfluß, ohne die Früchte seiner Bemühungen genossen zu haben. Sein Tod war sehr schwer. Er stammelte mit großen Zeichen der Reue noch allerley abgebrochne Worte, die aber zum Glück außer mir niemand verstand. Ich wurde zwar etwas dadurch erschüttert, aber ich faßte mich bald wieder; denn ich hatte ihm schon lange vom Grunde meines Herzens eine glückliche Reise nach dem Ufer des Styres gewünscht, und freute mich sehr, daß[9] er so gefällig war, gerade so zu rechter Zeit meine Wünsche zu erfüllen.

Nunmehr wollte ich allmälig zur weitern Ausführung meines Entwurfs schreiten, und sah mich schon in Gedanken – ohngeachtet mir Marie immerfort mit einem Kaltsinn begegnete, der mich äußerst schmerzte – im Besitz von ihr, als eine Erbschaft, die ich in der Ferne heben mußte, mich abrief. Diese Bothschaft war mir nur halb so willkommen, als sie es sonst gewesen seyn würde; indessen hatte mein Geldbeutel eine solche Verstärkung zu nöthig, als daß ich sie hätte können fahren lassen, und es ist nie meine Sache gewesen, bey Wasser und Brod zu lieben. Bisher hatte mich des alten Onkels Geldkasse unterhalten, aber er starb, ohne mich im Tode so reichlich, als im Leben, zu bedenken, und ich konnte kaum so viel erhaschen, als ich nothwendig brauchte, um meine drückendsten Gläubiger zu bezahlen, und meine Ehre zu retten.[10]

Ich mußte also abreisen. Besondere Umstände hielten mich anderthalb Jahr an dem Orte auf, an dem ich nur einige Monate bleiben wollte. Ich hatte zwar unterdessen allerley Liebesgeschichten gehabt, die mich Marien so ziemlich vergessen ließen; auch hörte ich, daß sie arm geworden wäre, und meine Umstände erforderten eine reiche Parthie. Ich weiß aber doch nicht, was ich gethan hätte, wenn sie bey meiner Zurückkunft noch ledig gewesen wäre. Aber so fand ich zu meiner großen Verwundrung, daß mich Albrecht, durch seine Heyrath mit ihr, aller Zweifel überhoben hatte.

Bey ihrem Anblick wachten alle alten Eindrücke so lebhaft wieder bey mir auf, daß ich mir vornahm, ihre Liebe zu erlangen, es koste auch, was es wolle. Sie wissen, was ich für Versuche machte. Aber alle schlug die spröde Schöne zurück. Sogar Albrechts letzte Entfernung half mir nichts. Verwünschter Eduard![11] Nichtswürdige Memme! Du steht mir im Wege? Aber ich will dich herausschleudern, daß du das Wiederaufstehen vergessen sollst! Wenn ich nur wüßte, wo er sich aushielte. Er muß wohl in der Nähe seyn. Ich werde es auszukundschaften suchen.

Heute Abends komme ich zu Ihnen. Dann wollen wir mehr reden.

Wildberg.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 3-12.
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