Dreyundfunfzigster Brief

Wildberg an Albrecht

[12] Deine Besorgniß wegen der Traurigkeit, die Deine Frau seit einiger Zeit zu haben scheint, hat mich sehr aufmerksam gemacht. Ich habe, Deinem Auftrage gemäß, alles angewandt, um die Ursache davon zu erforschen. Aber vergeblich. Denn Du weißt, ich schicke mich nicht zum empfindsamen Ritter, und Deine Frau, die denn[12] gar gewaltig viel Feinheit besitzen will, wirft mir auch darinn immer einen großen Mangel vor. Ich überraschte sie einigemal bey dem Lesen gewisser Papiere, welche sie stets sorgfältig bey meiner Ankunft verbarg. Endlich war ich so glücklich, durch eine unschuldige List, ohne daß sie es merkte, eins davon zu erhaschen, und nun sah ich die ganze Veranlassung ihres Tiefsinns. Ich stand zwar erst bey mir an, ob ich Dich durch diese Erzählung kränken wollte, aber ich glaube doch, daß es besser ist, wenn Du alles erfährst; vielleicht kannst Du dann eher die rechten Mittel brauchen, um sie zu heilen.

Der Brief war von Eduard, ihrem ehemaligen Liebhaber, um deswillen sie ehemals Deine Bewerbung ausschlug. Endlich beehrte sie Dich mit ihrer Hand; ihr Herz und ihre heimliche Liebe aber behielt er. Ich weiß nicht, wodurch ihr Verständniß aufs neue mag wiederum erweckt worden seyn – eigentlich haben sie wohl[13] immer einen Briefwechsel mit einander gehabt – genug, der Brief enthielt Zärtlichkeitsversichrungen, im erhabensten Romanenstyl geschrieben. Er dankte ihr für die Nachricht von Deiner Abreise, bat sie, ihm die Nacht zu benennen, in der er sie sprechen könnte, kam mit ihr darinn überein, daß ein solcher Unwürdiger, wie Du, ihre Liebe nicht verdiene, und schrieb noch mehrere Sachen, mit deren Erzählung ich Dich nicht kränken mag. Ich selbst hätte dieß nie der Frau zugetraut, die beständig so viel von schönen Empfindungen, Tugend und Herzensgüte schwatzt! Ich werde mich näher nach der Sache erkundigen, und Dir weitere Nachricht geben. Nimm auch eher keine Maaßregeln, und schreib ihr nichts, bis Du noch einen Brief von mir bekommen hast. Zu Deiner Ueberzeugung schicke ich Dir hier das Ende des Briefs, den ich ihr raubte. Den Anfang mußte ich wieder an den Ort legen, wo ich ihn gefunden hatte, um ihr[14] keinen Verdacht zu machen. Theils fürchtete ich auch, Dich durch die darinn enthaltnen Schmähungen gegen Dich zu sehr aufzubringen. Ich bedaure Dich von ganzem Herzen, Freund, denn ich weiß, wie sehr Hörner die Stirne des Mannes drücken. Bald schreibe ich Dir mehr.

Wildberg.


N. S. Amalie ist wieder hier. Sie erröthete, als ich von ungefähr deinen Namen nannte: Ach Gott, sprach sie, nennen Sie ihn nicht. Der Gedanke, daß er, durch falschen Argwohn bewogen, sich von mir trennte, schmerzt mich noch immer unendlich tief.

»Ach schweigen Sie doch, Amalie. So ganz richtig war es doch wohl nicht mit dem Hauptmann und Ihnen. Und dann sind Sie auch zu liebenswürdig, als daß Sie nicht viele Anbeter unterdessen sollten gehabt haben.«

»Sie beleidigen mich, Herr Wildberg. Was sollte ich für ein Interesse dabey haben, Ihnen[15] die Wahrheit zu läugnen, da Albrecht doch leider! auf immer für mich verloren ist? Aber, ich schwöre es Ihnen zu, der Hauptmann hat nie Eindruck auf mich gemacht. Wie hätte ich auch neben Albrecht einen andern lieben können? Und so leichtsinnig ich sonst auch war, so ernsthaft hat mich jetzt der Kummer gemacht. Es haben sich wohl einige Männer um meine Liebe beworben, aber es ist mir unmöglich, für irgend einen andern Mann Gegenneigung zu haben. Jene unglückliche Liebe hält mich noch immer zu sehr gefesselt.«

Sie ist auch wirklich nicht halb so munter mehr, als ehemals. Sie wohnt eine Viertelstunde von der Stadt, und lebt sehr einsam. Sie hat mich auch gebeten, sie nur selten zu besuchen, theils, damit nicht durch meinen Anblick die Erinnerung an Dich – die sie zu verbannen bemüht seyn wollte – zu lebhaft erneuert würde, theils auch, damit sie auf keine Art ihren guten[16] Ruf in Gefahr setzte. Dieses Verbot ist mir sehr unangenehm; denn ihr Umgang ist einer der angenehmsten, den ich kenne. Ich kann Dir die Thorheit nicht vergeben, daß Du sie einem so empfindsamen Affen aufopfertest, wie Marie ist, und die Dir Deine Liebe so schlecht lohnt.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 12-17.
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