Vierundfunfzigster Brief

Albrecht an Wildberg

[17] Dank Dir, Wildberg, daß Du den Zettel beylegtest. Ich hätte sonst Mistrauen in die Treue eines Freundes gesetzt, so unwahrscheinlich war mir die Untreue des Weibes, von deren schönem Charakter ich so viele Proben zu haben glaubte. Die nichtswürdige Gleißnerinn! War das die Ursache des Gewinsels, der Seufzer, der Thränen ohne Ende? Die Schändliche! Schon lange war ich ihrer Empfindsamkeit müde; denn ich kann die schwachen Nerven, die Reizbarkeit,[17] über die das Frauenzimmer jetzt immer klagt, nicht ausstehen. – Darum war mir Amalie so lieb, weil sie gar nichts von solchen Zierereyen an sich hatte. O Wildberg, warum schriebst Du mir von ihr? War meine Lage nicht ohnedieß desperat genug? O Amalie! ich fühle, daß meine Leichtgläubigkeit Deine Verachtung verdient, und Du liebst mich noch! Ich Thor! – Zwar kann ich nicht sagen, daß Marie alle die Päpeleyen und Vapeurs ihrer Zeitgenossinnen gehabt hätte, allein sie war mir doch zu weich, und ihre Klagen über meine Unempfindlichkeit bey Dingen, die sie tief rührten, wurden mir oft verhaßt. Aber eines solchen schlechten Betragens hätte ich sie nie fähig gehalten. Desto mehr bringt es mich gegen die Nichtswürdige auf. Aber warte! ich will Dich und Deinen elenden Liebhaber aus einander treiben, daß eure zarten Seelchen erbeben sollen, und daß die Lust zu solchen empfindsamen Zügen euch ins künftige vergehen soll![18]

Hätte ich doch nicht gedacht, daß mich etwas so sehr aufbringen könnte! Aber Du sollst es erfahren, Marie, daß der kalte Albrecht eines heftigen Zorns fähig ist, wenn man ihn reizt! – Ich werde meine Geschäfte zu Ende bringen, und dann gleich nach Empfang Deines Briefs zu dem zärtlichen Turteltäubchen reisen, und ihren Täuber verjagen, daß er staunen soll. Schreib mir ja aufs schleunigste.

Albrecht.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 17-19.
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