Fünfundfunfzigster Brief

Wildberg an Albrecht

[19] Er ist angelangt, der zärtliche Liebhaber. Sie hat ihn vor Freuden fast erdrückt, und ihre Zärtlichkeit ist über alle Maaßen weit gegangen. Es ist keine platonische Liebe, wie man sie von so feinen Seelen erwarten könnte, sondern sie sind sehr körperlicher Eindrücke fähig. Man hat[19] sie beyde in sehr zweydeutiger Stellung auf dem Kanapee sitzen sehen, und seit der Zeit werden auch immer nächtliche Besuche abgestattet. Die gute Frau! Es mag ihr wohl zuweilen in dem großen Bette grauen, in welchem sie seit Deiner Abreise so ganz allein liegen muß. Sehr natürlich also, daß sie Sorge trägt, diesen leeren Platz durch ihn zu besetzen. Vielleicht wird man bald die Spuren der Fruchtbarkeit an ihr wahrnehmen, deren Mangel sie bisher so oft beweinte.

Ich bedaure Dich von ganzem Herzen, guter Albrecht; aber es ist kein andres Mittel, dem Dinge ein Ende zu machen, als wenn Du Dich von ihr trennst. Dieses hat sie verdient, und es ist nicht zu erwarten, daß eine Frau von so verderbtem Herzen sich je bessern wird. Was willst Du auch noch mit ihr? Du dienst ja doch zu nichts, als zu einem Deckmantel ihrer Schande, und wirst nie wieder eine frohe Stunde mit ihr[20] haben können. Lebtest Du nicht vor Deiner Heyrath viel glücklicher als jetzt? Du betriebst Deine Geschäfte, und in Nebenstunden genoßest Du einen vergnügten ungezwungnen Umgang mit Deinen Freunden. Du warest in allen Gesellschaften willkommen, und hattest die besten Aussichten zu Glück und Ehre vor Dir.

Alles das ist seit Deiner Heyrath verdorben. Dein empfindsames Weib verscheuchte alle Deine Freunde, deren Umgang ihr zu rauh schien: Du wurdest allenthalben weniger geachtet, weil man Deine Frau und ihre moralischen Unterhaltungen nicht ausstehen konnte. Sogar der Geheimde Rath G., Dein mächtiger Gönner, wurde dein Feind, weil Marie einmal seiner Frau in einer großen Gesellschaft widersprach. Er hat einigemal gesagt, und viele mit ihm: »Schade, daß der Mann die Närrinn zur Frau hat!«[21]

Und was ward Dir für diesen Verlust? Ein weinerliches Geschöpf, dessen Umgang Dir nur Misvergnügen machte, bey der Du gar keine Erholung, keine Aufheitrung fandest, wenn Dich Geschäfte ermüdet hatten. Kam sie Dir nicht allenthalben mit ihrem feinen Gefühl in die Queer?

Oeffne die Augen, Freund! Laß sie mit ihrem Romanhelden laufen, und bey Wasser und Brod sich von Liebe satt schwatzen. Und Du wirst dann wieder so glücklich, so ruhig leben, wie vorher. Du wirst Deine Bekanntschaft mit Amalien zu erneuern suchen. Ihre Gesellschaft, ihr muntrer Witz, durch Deinen Anblick wiederum belebt, wird bald die Eindrücke von Deiner kopfhängerischen Marie bey Dir vertilgen.

Vor dem Urtheil der Welt brauchst Du Dich nicht zu fürchten. Man weiß hier schon allenthalben die Geschichte, man bedauert Dich und wünscht, daß Du Dich von der Treulosen scheiden[22] möchtest. Und ich bin gewiß, daß man Dich hier allenthalben mit Verachtung ansehen, und mitleidig die Achseln über Dich zucken würde, wenn Du Deine Hahnreyschaft so gelassen ertrügest. Du wunderst Dich vielleicht über meinen Eifer. Aber die Ehre und das Glück meines Freundes liegen mir zu sehr am Herzen, als daß ich bey einer für ihn so wichtigen Sache gleichgültig bleiben könnte.

Du wirst wohl gleich nach Empfang dieses Briefs abreisen, und ich bitte Dich, zuerst zu mir zu kommen, damit wir zuvor unsre Maaßregeln nehmen können, ehe Du in Dein Haus gehst. Lebe wohl bis dahin.

Dein treuer

Wildberg.[23]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 19-24.
Lizenz:
Kategorien: