Sechsundfunfzigster Brief

Sophie an Julien

[24] O Julie! die ganze Frucht meiner Bemühung bey Marien ist vereitelt; sie ist jetzt elender, als je.

Wir saßen im Zimmer und redeten von Ihrem lieben Briefe, als plötzlich die Hausthür sich öffnete, und eine Mannsperson mit starken schnellen Schritten auf unser Zimmer zuzukommen schien. Marie sprang auf, in der Meynung, daß es Albrecht sey. Schnell wird die Thür aufgemacht, und Eduard tritt herein. Marie sank mit einem Schrey ohnmächtig zurück. Er fiel vor ihr nieder, und bedeckte ihre Hände mit Küssen und Thränen.

»Kehre wieder, himmlischer Geist meiner Marie! Dein Eduard, der Dich anbetet, beschwört Dich. Ach! aus dieser Bestürzung sehe ich, daß Du mich noch liebst, daß Du den fernen[24] treuen Geliebten nicht vergaßest! Du schlägst die Augen auf, Du lebst wieder? Engel des Himmels, Du liebst mich noch?«

Er schloß sie in seine Arme, und sie vermochte in der ersten Betäubung nicht, ihm zu widerstehen, aber bald siegte ihre vortreffliche Seele. Sie riß sich von seinen Lippen los.

»Gehen Sie, Eduard. Um Gottes Willen, lassen Sie mich! Ich kann Ihre Liebkosungen ohne Sünde nicht annehmen. Ich bin die Gattinn eines andern.«

»- Indem er heftig aufsprang – Du, Marie, das Weib eines andern? Tod und Verderben über das Herz, das die Schwüre der Liebe brach! Du, das Weib eines andern? Welche Quaalen der Hölle für mich! Und das kannst Du mir sagen, Treulose? Gott! ist dieß das Mädchen, das ich drey Jahre hindurch bis zur Vergötterung liebte? Unglücklicher Eduard! Elender Thor, der ich auf Mädchentreue baute![25] der ich glaubte, ich würde Dein Herz so treu, so zärtlich wieder finden, wie das meinige war!«

»Halten Sie ein, Grausamer! oder wollen Sie sie tödten?«

Sie war ganz außer sich, in eine neue Ohnmacht zurückgesunken, und die Farbe des Todes herrschte schon auf ihrem Gesichte. Er sah sie, und seine Wuth schmolz bey ihrem Anblick.

»Was sehe ich! O Marie, Innigstgeliebte, lebe wieder auf; nie sollen meine Vorwürfe Dich kränken. Vergieb mir! Die Quaal getäuschter Liebe sprach aus mir.«

Sie erholte sich langsam, und sprach mit schwacher Stimme:

»O Eduard! Sie können mir Vorwürfe machen? und Sie verdienen die größten! Schrieben Sie mir wohl ein einziges mal? Wählten Sie nicht gleich eine andre Geliebte? Und dem ohngeachtet gieng ich doch nur mit Thränen, mit Widerwillen – – –«[26]

»Heuchlerinn! Ich eine andre Geliebte? O! ewig brennende Vorwürfe sollen mich martern, nie fühle dieses Herz Ruhe, von endlosen Quaalen sey es genagt, wenn ich je an eine andre dachte. Du warest es allein, die ich noch bis heute anbetete, bis zum Unsinn liebte! Dein Bild wich nie aus meiner Seele; schlafend und wachend schwebtest Du vor meiner Einbildungskraft! Wie viele Briefe der zärtlichsten Liebe schrieb ich Dir nicht, und erhielt keine Antwort! Ich verblendeter Thor! Ich glaubte, Deine Liebe wäre so fest, wie die meinige, geknüpft. Unüberwindliche Hindernisse, so dacht ich, hielten Deine Briefe zurück. Voll des sichersten Zutrauens zu Dir, durchlebte ich drey Jahre, schlug noch kürzlich die Hand der liebenswürdigen Nichte meines Prinzipals aus, voll des Gedankens, in Deinen Armen meinen Lohn und meine Seligkeit[27] zu finden. Auf den Flügeln der Liebe eilte ich hieher, flog mit klopfendem Herzen zu Dir, und nun finde ich Dich so! Gott, ich Elender!«

Mariens Erstaunen glich dem meinigen. Er sprach zu sehr aus dem Herzen, als daß sie hätte zweifeln können. Gewiß war Verrätherey im Spiel. Ihr Zustand war trostlos. Sie verwünschte ihre Leichtgläubigkeit, und bat Eduard in den rührendsten Ausdrücken, ihr zu verzeihen. Er wurde bewegt, und beyder Thränen flossen reichlich. Endlich ermannte sie sich. Sie bat ihn, sie zu verlassen, und er gieng verzweifelnd fort. Ihre Seele war zerrissen, und sie war taub gegen alles, was ich ihr sagen konnte. Endlich fiel sie auf ihre Knie. Ihre Thränen und Seufzer drangen gewiß durch die Wolken.

»Es ist geschehen – sagte sie, indem sie mit erheitertem Gesicht aufstand – Gott hat mich erhört. Mein Herz ist losgerissen; es fühlt[28] sich gestärkt, und nun will ich ihm zum letzten male schreiben.«

Ich widerrieth es ihr, aber vergeblich. Sie setzte sich nieder und schrieb. Giebt es ein unglücklicheres Paar als diese beyden? O Gott! warum muß das beste weibliche Herz von solchen Quaalen niedergedrückt werden? Beten Sie mit mir, Julie, um Trost für sie.

Sophie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 24-29.
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