Siebenundfunfzigster Brief

Marie an Eduard

[29] Meine Seele, von Kummer schon vorher niedergebeugt, wurde durch Ihren Anblick zu sehr erschüttert, als daß ich vermocht hätte, mit Ihnen zu reden, so wie ich mußte. Jetzt habe ich durch Gebet mich gestärkt. Ich Aermste! Ehemals war unsre Liebe die größte Angelegenheit, die ich Gott vortrug, und jetzt muß ich[29] ihn anflehen, diese Liebe aus meinem Herzen zu reißen. O Gott, du siehst, wie es blutet. Ich scheine mich von mir selbst zu trennen, abgerissen von dem, was ich sonst abgöttisch liebte! Und doch heischt meine Pflicht dieses Opfer. Ich muß Ihnen – welcher Schmerz durchwühlt mein Innres! – Das letzte Lebewohl schreiben. Ich darf Sie nie wieder sehen, nie wieder einen Brief von Ihnen lesen, keinen mehr schreiben! – Gott! welch ein Schauder überfällt mich! Kaum kann meine zitternde Hand die Feder halten! Ich muß mich von dem trennen, den ich so innig liebte; o könnte ich auch den Gedanken an ihn verbannen! Aber, so müßte die ganze Denkkraft meiner Seele vernichtet werden, denn jede Erinnerung ruft mir sein Bild zurück.

O Eduard, vergieb mir! Ich habe das Glück Deines Lebens gestört; ich habe Dich, mich selbst, elend gemacht! Jede Freude ist für mich verloren. Kummer und Thränen werden mein Loos[30] seyn. Lebe zum letzten male wohl, Abgott meiner Seele! In einer Welt finden wir uns wieder, wo kein Schicksal mehr die Herzen trennt, die ganz für einander geschaffen waren. Da wird mein Geist Dir entgegen eilen. Ich werde Dich zu den Füßen des Throns führen, wo der Allliebende selbst unsre Thränen trocknen wird, und ewig vereint wandeln wir dann in die Gefilde der Seligen.

Dieß Bild einer glücklichen Zukunft stärke und beruhige Dich. O Eduard! bete auch für meine Seele – nicht um Ruhe hienieden; ach, die ist für mich dahin! – bete, daß ich bald einem Schauplatz entrückt werde, auf dem nur Auftritte des Jammers meiner warten.

Marie.[31]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 29-32.
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