Achtundfunfzigster Brief

Eduard an Barthold

[32] Freund, hast Du noch Thränen: so zolle sie dem unglücklichsten der Menschen! In den tiefsten Abgrund des Elends gestürzt, ringe ich mit der Verzweiflung. O, wäre nicht eine andre Welt, fürchtete ich nicht, daß der Augenblick meines Sterbens auch der ihrige wäre – ich würde meinem quaalvollen Leben ein Ende machen!

Ich kam in D. an. Ich stieg vor einem Wirthshause ab, gab mein Pferd dem ersten, den ich sah, und nun eilte ich dem Hause zu, in welchem jedes Plätzchen mir heilig war, weil sie es einst betrat. Mit lautschlagendem Herzen gieng ich hinein, öffnete das Zimmer, in welchem ich zuerst die himmlische Gestalt sah. Sie kam mir entgegen. Welch ein Anblick! Dieß blühende Mädchen, gemacht, um das unempfindlichste[32] Herz zu besiegen, wie war sie entstellt! Die blühenden Rosen ihrer Wangen waren verwelkt, das sanfte Feuer des blauen Auges erloschen. Das zaubrische Lächeln des Mundes, das sonst mich entzückte, war geschwunden. Ihre ganze Gestalt war der rührendste Ausdruck des Kummers. Sie schrie, als sie mich sah, und sank ohnmächtig zurück. Ich warf mich zu ihren Füßen. Die lauten Ausbrüche meiner Empfindungen riefen sie ins Leben zurück. Ich drückte sie an mein Herz, und glaubte vor Wonne zu vergehen, als sie schnell sich aus meinen Armen wand.

Gott! kann ich das Schreckliche schreiben? – Sie ist das Weib eines andern. Welcher Jammer für mich! O Marie, hätte ich das von dir gedacht, daß du wärest wie andre: ich wäre vor deinem Anblicke geflohen, wie vor einer Schlange. Nie würden mich deine gefährlichen Reize besiegt haben; sie würden mir lachende Schaalen, mit[33] Gift angefüllt, gewesen seyn. Gott! wie blutet mein Herz, wenn ich die ehemaligen Zeiten mir denke, da ich im süßesten Taumel der Liebe vor ihr stand! Wie war sie da so zärtlich! Wie schienen nicht meine Blicke ihr neues Leben einzuflößen! Wie oft sagte sie mir, daß ohne mich keine Freude des Lebens sie entzücke! Und brachte ich einen Zweifel an ihrer Liebe ihr vor – es geschah nur, um ihn widerlegt zu hören – so betheuerte sie mir, daß ihre Liebe unsterblich, wie ihr Geist, sey. Und jetzt – ist sie eines andern Weib? Die Mächte der Hölle haben keine stärkeren Quaalen. Tödtende Furien, ihr nagt an meinen Gebeinen. Zerreißt mich völlig! Raubt mir ein Leben, das mir eine Last ist!

Barthold! mein tobender Schmerz zerfließt in Thränen. Eben schickt sie mir einen Brief. Die herrliche Seele des Engels leuchtet aus jeder Zeile hervor. O Gott! wie schäme ich mich meiner Wuth vor dir, sanfte Dulderinn! Sie liebt[34] mich noch so stark, so innig, als je. Ihr Herz setzte wider ihren Willen die Beweise davon auf dieß Papier. Nie, o nie sollst du von meiner Seite kommen, theurer Vrief, letztes, unschätzbares Geschenk meiner Marie. Für keine Reiche und Kronen bist du mir feil. Stets sollst du auf meinem Herzen wohnen, von meinen Thränen und Küssen benetzt.

Sie befiehlt mir, sie zu fliehen, sie nie wieder zu sehen. Ich will ihrem Befehl folgen. Mein Anblick soll nicht, mit dem ihrigen zugleich, auch den Frieden ihres Mannes stören. Aber noch einmal muß ich sie sehen, auf ewig Abschied von ihr zu nehmen. O daß ich meine Seele zu ihren Füßen aushauchen könnte! –

Eduard.[35]

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 32-36.
Lizenz:
Kategorien: