Neunundfunfzigster Brief

Sophie an Julien

[36] Mit jedem Tage stürzt neues Elend auf die arme Marie. Sie wird gewiß ihren Quaalen unterliegen. Sie faßte den Entschluß, Eduard nie wieder zu sehen. Es geht über alle Beschreibung, wie viel ihr dieses kostete. Sie erhielt aber doch so viel Macht über sich, den Befehl an ihre Leute auszustellen, daß man keinen Fremden zu ihr lassen sollte. Kaum war ihr Mädchen hinaus, so zerfloß sie in Thränen.

»Gott! ist es so weit mit mir gekommen, daß ich ihm die Thür verschließen muß? Und sonst hätte ich um einen Blick von ihm hundert Thüren und Schlösser geöffnet! Auch ihm war kein Hinderniß unüberwindlich für meinen Anblick. Eduard! Arme Marie

Sie saß auf ihrem Sopha. In der einen Hand hielt sie ein Tuch, naß von ihren Thränen,[36] die andre unterstützte ihr mattes Haupt. Eduard trat herein. Man hatte ihn außen nicht bemerkt. Er fiel, einige Schritte von ihr entfernt, auf ein Knie:

»Marie, verzeihen Sie, daß ich Ihrem Befehl zuwider handle. Wollen Sie es, so verlasse ich gleich das Zimmer. Es war mir unmöglich von hier zu gehen, ohne von dem Abschied genommen zu haben, was mir ewig das theuerste auf Erden seyn wird.«

»O Eduard, Sie haben nicht wohl gethan. Ich darf Sie nicht mehr hören, gehen Sie.«

»Marie, ist dein Herz mir ganz entwandt? Hast du alles vergessen? Unsre zärtliche Liebe, meine stete Ehrfurcht für dich, Alles? Wallt in deinem Herzen nichts mehr für mich? O so sey Verzweiflung mein Loos: ich will dich mit meinem Anblick nicht länger quälen.«

»Eduard! du wirst mich tödten.«[37]

»Was seh ich, Marie! du weinst? Du weinst meinem Schicksal noch Thränen? O! ich muß diesen Ausbruch der edelsten Zärtlichkeit wegküssen – Es sind die letzten Thränen meiner Marie, die ich fließen sehe.«

Ihr Haupt sank auf seine Brust. Er umfaßte sie, und drückte seine Lippen auf die ihrigen. Sie war zu schwach, um zu widerstehen. Ihre Thränen flossen auf seine Küsse. Und nun – trat Albrecht ins Zimmer.

Nichtswürdiges Weib! du selbst bestätigst die Nachricht von deiner Untreue. Doch sowohl du, als dein elender Liebhaber, ihr seyd zu klein für meine Rache. Ich will euch eurem Schicksal überlassen. Jetzt gehe ich auf mein Zimmer. Mache dich unterdessen, mit allem, was dein ist, aus dem Hause. In einer Stunde bin ich wieder da, und finde ich dann noch eine Spur von euch hier, so zittert vor meiner Rache.

»Um Gottes Willen, höre mich doch nur erst!«[38]

»Ich will nichts hören! Ich hörte und sah genug!«

»Herr Albrecht! sind Sie wahnsinnig, das beste Weib eines bloßen Anscheins wegen zu verstoßen, ohne sie einmal gehört zu haben? Bedenken Sie, was Sie thun.«

»Ich habe genug bedacht, Mademoiselle, bin von allem unterrichtet. Mein Entschluß steht fest, und ich will niemand rathen, sich ihm zu widersetzen! Ich wiederhole es noch einmal: Bist du in einer Stunde noch hier, so will ich ein Beyspiel an dir zeigen, das deine empfindsame Seele erschüttern soll!«

Er zog die Augenbraunen auf eine erschreckliche Art zusammen, und verließ das Zimmer.

»Gott – sprach Marie – strafst du so hart die Schwäche meines Herzens? Ach! noch nie sah ich ihn so. Ich weiß, er ist auf eine schreckliche Art beharrlich in seinen Vorsätzen. Was wird aus mir werden!«[39]

»Komm, theuerste Marie, entflieh in den Armen deines zärtlichsten Anbeters einem Ungeheuer, das deinen Abscheu verdient.«

»Halt, Eduard. Den Sie jetzt Ungeheuer nennen, der ist mein Mann, vor Gottes Altar mir angetraut. Wenn ich Ihnen folgte, so würde ich die Behandlung verdienen, die er jetzt ungerecht mich empfinden läßt. Ich werde ihm zeigen, daß ich nur schwach, nicht lasterhaft war. Die wenigen Tage meines Lebens sollen in stiller Einsamkeit dahin fließen, und der Gedanke soll mich trösten, daß einst mitleidige Thränen mein Grab benetzen werden! – Und nun noch eine Bitte an Sie, Eduard! Verlassen Sie mich und versprechen mir bey dem, was Ihnen das Heiligste ist, mich nie wieder zu sehen! –«

»Vortrefflichste Ihres Geschlechts! mit zerrißnem blutendem Herzen verspreche ich, Ihrem Befehl zu folgen; und sollte ich unterliegen,[40] o himmlischer Geist meiner ewig angebeteten Marie, so stärke du mich!«

Er verließ schnell das Zimmer, und nun brachen Mariens zurückgehaltne Thränen mit Macht aus. Ich mußte sie ihrem Kummer überlassen, und war beschäftigt, ihre Sachen zusammen zu packen, und einen Wagen bestellen zu lassen. Ich fuhr mit ihr und dem kleinen Lieschen, welches sie durchaus mitnehmen wollte, nach meiner vortrefflichen Pastorinn zu, von der ich Ihnen neulich schrieb. Diese Frau, nur geschaffen um Gutes zu thun, nahm uns gern auf, und wurde sehr von Mariens Unglück bewegt. Ist es noch möglich sie zu retten, so werden es gewiß diese vortrefflichen Leute vermögen; aber ich fürchte, daß sie alles dieses nicht lange überlebt. Ihr Körper ist sehr geschwächt.

Ich möchte nur wissen, wer Albrecht so aufgebracht hat. Marie glaubt, daß vielleicht der[41] nichtswürdige Wildberg Antheil daran habe. Ach! sprach sie, gewiß ist er es auch, der Eduard von mir trennte. Das schreckliche Ende meines Onkels, und seine bisher unerklärbaren Worte, die er kurz vor seinem Hintritt in die Ewigkeit sprach, hellen sich mir auf: Marie – sprach er, als schon Stimme und Augen sich brachen – ver – gieb – Wild – berg – wird – Und indem verließ ihn die Sprache. Er reichte noch immer nach seinem Schreibtisch, und bald darauf – doch ich will einen Vorhang über die schreckliche Scene seines Todes fallen lassen. Er war meiner Mutter Bruder! Ich vergebe ihm. O Gott! räche auch du nicht seine Missethat. Verzeih ihm um der Gerechten willen, die seine Schwester war! –

Gott, Julie! Das Herz des Menschen ist so klein, und doch ein solcher Sammelplatz von List und Ränken! – Ich kann Marien nicht verlassen.[42] Bitten Sie doch meinen Onkel, daß er mir erlaubt, noch hier zu bleiben.

Sophie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 36-43.
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