Sechsundsiebzigster Brief

Marie an Eduard

[131] Nur vom Wahn der Liebe getäuscht, konnten Sie Ihren letzten Brief an mich schreiben. Ich kann und darf Ihren Vorschlag nicht annehmen. Albrecht schied sich von mir, durch ungerechten Argwohn verleitet. Verbände ich mich mit Ihnen,[131] so würde ich ihm und der ganzen Welt zeigen, daß sein Verdacht gegründet sey, daß ich wirklich die Treulose wäre, für die er mich hielt.

Nein, Eduard, wenn er auch seine Pflichten vergißt, so darf ich doch deswegen die meinigen nicht hintansetzen. Der Scheidungsbrief, den das Gericht ausfertigte, war ungerecht; also kann er nicht gültig seyn; also kann ich nicht handeln, wie eine Geschiedne, da ich vor Gottes Augen noch verheyrathet bin. Und wenn ich es auch ohne Sünde könnte; wenn es auch nicht so sträflicher Ehebruch wäre: so fühle ich doch zu lebhaft, daß Gott uns hier nicht für einander bestimmt hat. Mein Leben wird nicht lange mehr dauern; ich fühle mit jedem Tage die Abnahme meiner Kräfte. Ich will mich bemühen, mich vom Irrdischen loszureißen, und die wenigen Stunden, die ich noch hienieden wallen werde, bloß meinem Gott widmen.[132]

Ach Eduard! ich fühle, daß es meine Kräfte übersteigt, mich von dir loszureißen. Du herrschest zu sehr in jedem meiner Gedanken; ich fühle es, daß meine Liebe zu dir nur mit meinem Leben sich endigen wird. Und auch selbst dann noch nicht. Meine Liebe zu dir war kein körperliches Gefühl, das mit dem Verlust unsrer Sinne zugleich schwindet. Es war eine feste Ueberzeugung der Verschwistrung unsrer Seelen, und kann nie aufhören, so lange dieses unsterbliche Wesen lebt. Sie wird nur durch die Befreyung von unserm Körper geläutert, und so veredelt wird sie mir in die Ewigkeit folgen.

Das ist meine Beruhigung. Wenn es doch auch die Ihrige wäre! Wie bald sind nicht die wenigen Tage des Lebens vorüber, nur ein Augenblick gegen die Ewigkeit! Und um dieses Augenblicks willen wollten wir uns den reinen Genuß der zukünftigen Freuden verderben? wollten die schöne Beruhigung verscherzen, so gehandelt[133] zu haben, wie uns Gott und Tugend befahl? Nein, Eduard, das sey fern von uns. Aber wir wollen auch nicht durch unbändigen Schmerz gegen die weise Fügung Gottes murren. Unter Ergebung in seinen heiligen Willen, und in stiller Wehmuth fließe unser übriges Leben hin. Wir wollen uns bemühen, unsern Nebenmenschen noch so gut und nützlich zu seyn, als unsre schwachen Kräfte es erlauben.

Ich werde nicht aufhören zu beten, daß diese sanfte Beruhigung, welche Gott so gnädig mir schenkte, auch Ihnen zu Theil werden möge. Und so, über Menschen und Unglück erhaben, wollen wir ohne Murren und ungeduldige Wünsche, mit stiller Sehnsucht die selige Stunde ererwarten, in welcher uns Gott diesem irrdischen Schauplatz entrücken wird.

Marie.
[134]

Fortsetzung. Sophie an Julien.


Hätten Sie doch, meine Julie, die himmlische Ruhe gesehen, die von Mariens Antlitz stralte, als sie diesen Brief geschrieben hatte! Sie schien mir schon eine selige Bewohnerinn des Himmels zu seyn.

»Ich danke dir, Gott, sprach sie, daß du meine Gebete erhörtest, und meinen lauten Kummer hinwegnahmst. O Allliebender! stärke auch seine Seele, daß sie nicht unterliege. Laß auch ihn den erquickenden Trost deiner Religion fühlen!«

Mit noch größerm Ernst, als vorher, nimmt sie jetzt der Erziehung der Kinder und der Pflege der Kranken sich an. Zu ihrer Erquickung muß ich ihr dann zuweilen ein Lied von Gellert singen, und ihre dankbare Rührung ist dann gewiß ein Lohn mehr für dich, seliger Mann, der[135] du durch deine sanfte fromme Muse schon so manchen Trost in die Seele des Leidenden flößtest. – Ich muß aufhören. Leben Sie wohl, meine Julie!

Sophie.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 2, Leipzig 1784, S. 131-136.
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